ADOLF VON HARNACK

MARCION: DAS EVANGELIUM VOM FREMDEN GOTT
Kapitel V, Seite 74—92

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V. Die „Antithesen“ Marcions ¹.

    Obgleich ein umfangreiches Material für die Rekonstruktion dieses Werks ² zu Gebote steht, ist es bisher nicht gelungen, ein auch nur in den Grundzügen sicheres Bild von der Anlage des Buches zu gewinnen, und auch die nachstehende Untersuchung führt hier nicht zu einem befriedigenden Ergebnis. Fest steht, daß kein anderes Werk von M. selbst bekannt ist als die „Antithesen“ ³. Was also an Sätzen M.s zuverlässig überliefert ist oder was das Gepräge seiner eigenen Gedanken trägt,
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    ¹ Der einzige und ungenügende Versuch, M.s Antithesen wiederherzustellen, findet sich in   H a h n s   „Antitheses Marcionis gnostici“ Königsberg, 1823.
    ² Der kecke Titel „᾿Αντιθέσεις“ — ein rhetorischer Begriff — ist m. W. in der griechischen Literatur einzigartig. Apelles, Marcions Schüler, gab ein Buch unter dem Titel „Συλλογισμοί“ heraus, Tatian, dem M. geistesverwandt, ein Werk „Προβλήματα“. Man erinnert sich des Werks des Stephanus Gobarus und des „Sic et Non“ Abälards.
    ³ Nur Tertullian hat noch einen Brief M.s erwähnt (s. o. S. 27. 21*; ob mehrere Briefe, darüber s. unten S. 78). Epiphanius spricht zwar (haer. 42, 9) von συντάγματα, die M. für die von ihm Verführten geschrieben hat, aber das ist nur ein Widerhall der Antithesen, Irenäus kündigt an, er werde M. aus seinen eigenen Schriften („scriptis“) widerlegen (I, 27), aber auch das führt nicht über die Antithesen hinaus. Ephraem spricht ebenfalls von Schriften M.s. Da er die Antithesen gekannt hat, muß man an diese denken. Über Marutas Angaben s. beim Apostolikon M.s S. 363*. Ein unbekannter alter syrischer Schriftsteller   (S c h ä f e r s,   Eine altsyr., antimarkionit. Erklärung von Parabeln des Herrn usw., 1917, S. 3 f.) legt dem Marcion eine Schrift „Proevangelium“ bei, verbreitet sich über diesen Titel und bringt einen Jubelruf in bezug auf das Evangelium aus dem Anfang des Buches. Dieses Zitat paßt vorzüglich als Anfang des Antithesenwerks; man darf es daher für echt halten. Was aber den Namen „Proevangelium“ betrifft, so braucht er nicht, wie jener Schriftsteller meint, auszudrücken, daß das, was im Buche folge, früher sei als das Evangelium, sondern kann sehr wohl als „Einleitung“ zum Evangelium verstanden werden; dann aber darf man ohne Bedenken in dem „Proevangelium“ das Antithesenwerk erkennen, von dem Tertullian bemerkt, daß M. es dem Evangelium als „dos“ und „patrocinium“ zugestellt habe. R.  H a r r i s   (Marcions Book of Contradict., im „Bull. of the John Rylands Libr.“, Manchester, Vol. VI Nr. 3, 1921, p. 289 ff.) hält es für undenkbar, daß das Jubelwort über das Evangelium am Anfang der „Antithesen“ gestanden hat. Dagegen hält er es für wahrscheinlich (nach Tert.


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muß aus ihnen stammen. Fest steht ferner, daß, wie schon der Titel ahnen läßt und Tertullian ausdrücklich bemerkt, die Entgegenstellung der Worte und Taten des Weltschöpfers und des guten Gottes (bzw. seines Christus), damit aber auch die Entgegenstellung des Gesetzes (des ATs) und des Evangeliums, in der Form von „singulae iniectiones“ den wesentlichen Inhalt des Werks gebildet hat ¹. Weiter charakterisiert Tertullian das Werk im Sinne M.s als ein polemisch-apologetisches: es sollte aus den nachgewiesenen Gegensätzen im großen wie im einzelnen die Notwendigkeit hervorgehen, zwei feindliche Götter zu unter-
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I, 2), daß dort Erwägungen über den Ursprung des Bösen gestanden haben. Allein, wenn Tertullian einen von M. verfaßten Eingang bzw. ein Vorwort zum Evangelium gelesen hätte, hätte er sich mit ihm befaßt, und wie soll M. es gewagt haben, dem Evangelium eine Einleitung zu geben!
    ¹ Tert. I, 19: „Separatio legis et evangelii proprium et principale opus est Marcionis, nec poterunt negare discipuli eius quod in summo instrumento habent, quo denique initiantur et indurantur in hanc haeresim; nam hae sunt ,Antithesîs‘ Marcionis, i. e. contrariae oppositiones, quae conantur discordiam evangelii cum lege committere, ut ex diversitate sententiarum utriusque testamenti diversitatem quoque argumententur deorum“. IV, 6: „... ipsum evangelium Marcionis provocantes sic quoque probaturi adulteratum, certe enim totum quod elaboravit etiam Antithesîs praestruendo in hoc cogit, ut VT et NT diversitatem constituat, proinde Christum suum a creatore separaturus, ut dei alterius, ut alienum legis et prophetarum. certe propterea contraria quaeque sententiae suae erasit, conspirantia cum creatore, quasi <ab> adsertoribus eius intexta, competentia autem sententiae suae reservavit“. IV, 1: „... ut fidem instrueret (suo evangelio), dotem quandam commentatus est illi — opus ex contrietatum oppositionibus ,Antithesîs‘ cognominatum et ad separationem legis et evangelii coactum —, qua duos deos dividens, proinde diversos, alterum alterius instrumenti vel, quod magis usui est dicere, testamenti, ut exinde evangelio quoque secundum Antithesîs credendo patrocinaretur, sed et istas proprio congressu comminus i. e. per singulas iniectiones Pontici cecidissem, si non multo opportunius in ipso et cum ipso evangelio, cui procurant, retunderentur“. IV, 4: „Si id evangelium, quod Lucae refertur apud nos — viderimus an et penes Marcionem — ipsum est, quod Marcion per Antithesîs suas arguit ut interpolatum a protectoribus Iudaismi ad concorporationem legis et prophetarum, qua etiam Christum inde confingerent, utique non potuisset arguere nisi quod invenerat“. II, 29: „Antitheses gestiunt ex qualitatibus ingeniorum sive legum sive virtutum discernere atque ita alienare Christum a creatore ut optimum a iudice et mitem a fero et salutarem ab exitioso“.


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scheiden und daher die Unabhängigkeit des Evangeliums vom AT und seine absolute Neuheit anzuerkennen. Endlich sollte das Werk nicht nur eine literarische Zugabe („dos“) zum Evangelium und eine Versicherung („patrocinium“ ) für dasselbe sein, sondern auch ein   f ü r   d i e   G e m e i n d e   m a ß g e b e n d e s   W e r k,   also   i h r   s y m b o l i s c h e s   B u c h.   Zwar wissen wir nicht auf Grund eines positiven Zeugnisses, daß M. selbst diese Anweisung gegeben hat, aber wir dürfen es bestimmt vermuten; denn die Marcioniten hatten es bereits z. Z. Tertullians „in summo instrumento, quo   i n i t i a n t u r   et indurantur in hanc haeresim“, was doch nichts anderes heißt ¹, als daß seine Autorität von jedem Marcioniten anerkannt werden mußte, und zwar beim Eintritt, und es war M.s Art, alles in seiner Kirche auf umschriebene feste Grundlagen zu stellen ². Das Evangelium und Apostolikon M.s waren ja auch in ihren Absichten nur halbverständlich, wenn ihnen nicht die Erklärung zur Seite trat, welche die Antithesen boten; sie mußten daher von Anfang an diese begleiten.
    G e n a n n t   mit dem Titel hat das Werk nur Tertullian
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    ¹ Man beachte den Ausdruck „in summo instrumento“ (instrumentum heißt auch die h. Schrift bei Tert.; doch ist das „summum“ eher eine Abschwächung als eine Verstärkung; denn hätten die Antithesen genau dieselbe Autorität bei M. besessen wie das Ev. und das Apostolikon, so hätte Tert. einfach „in instrumento“ geschrieben; so aber darf man vermuten, daß Tert. subjektiv färbt und übertreibt). Zu vgl. ist IV, 4: „Antithesîs non modo fatentur Marcionis, sed et praeferunt“.
    ² Andere Zeugnisse über Inhalt und Charakter der Antithesen finden sich noch Tert. II, 28 (sie enthalten eine Zusammenstellung der „pusillitates et malignitates ceteraeque notae“ des Weltschöpfers); II, 29 (Tert., nachdem er einzelne Antithesen in den zwei ersten Büchern adv. Marc. widerlegt hat, hält eine „operosior destructio“ für unnötig); IV, 9 („Praestruximus quidem adversus Antithesîs nihil proficere proposito Marcionis quam putat diversitatem legis et evangelii, ut et hanc a creatore dispositam“); IV, 24 (ausdrückliche Anführung einer Antithese M.s); IV, 36 (zu Luk. 18, 42; „... atque ita caecus remanebit, ruens in Antithesin, ruentem et ipsam Antithesin“). Nicht eine inspirierte, wohl aber eine schlechthin maßgebende Autorität kam den Antithesen in M.s Kirche zu. Nach Maruta, der aber vielleicht nicht ganz richtig referiert, soll das Werk als „Summa“ kanonisches Ansehen bei den Marcioniten besessen haben. Was sie vom AT erfuhren, erfuhren sie mit negativen Vorzeichen aus diesem Buch.


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(und seine Ausschreiber) ¹. Gekannt haben es sicher nicht wenige katholische Polemiker der älteren Zeit; aber für uns kommen nur der Presbyter bei Irenäus, Irenäus selbst, Origenes (wahrscheinlich auch Celsus), Ephraem und ein unbekannter syrischer Schriftsteller in Betracht. Nicht gesehen haben es Adamantius, Hieronymus, Epiphanius, Maruta, Esnik ², vermutlich auch nicht der Verfasser der pseudoklementinischen Homilien, usw.; aber Adamantius bringt sehr Wertvolles aus solchen Schriften, deren Verfasser die Antithesen gekannt haben.
    Das Werk war einem ungenannten Konfessionsgenossen gewidmet; das ist wenigstens die wahrscheinlichste Deutung der Stelle Tert. IV, 9. Hier sieht sich Tert. genötigt, auf die unzulässigen Folgerungen einzugehen, die M. in ausführlicher Darlegung an die Perikope von der Heilung des Aussätzigen geheftet hat (Luk. 5, 12 ff.), und bemerkt: „Sed quoniam attentius argumentatur apud illum suum nescio quem συνταλαίπωρον i. e. commiseronem et συμμισούμενον i. e. coodibilem in leprosi purgationem, non pigebit ei occurrere“ ³. Der eine war für M. wohl Repräsentant aller seiner Gesinnungsgenossen, und so kann Tert. an einer anderen Stelle dem M. zurufen (IV, 36): „Age, Marcion omnesque iam ,commiserones et coodibiles‘ eius haeretici, quid audebitis dicere?“  Man lernt aus Tert. IV, 9 ein Doppeltes, erstlich daß die Antithesen dem Tert. nicht (oder doch nicht nur) lateinisch, wie M.s Bibel, sondern auch griechisch vorlagen , zweitens daß sie nicht nur Antithesen im engsten
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    ¹ „Ἀντιπαραθέσεις“ (Hippol., Refut. VII, 30) ist eine Anspielung auf den Titel; vgl. auch das „e contrario opponentes“ des Presbyters bei Iren. I, 28, 1), von den Marcioniten gesagt, und Orig., Comm. V in Joh. p. 105: Ἐὰν σιωπήσωμεν, μὴ ἀντιπαρατιθέντες.
    ² Esnik's Darstellung der Lehre M.s fußt auf einer späteren Marcionitischen Schrift; indirekt wird auch sie von den Antithesen aufs stärkste beeinflußt gewesen sein.
    ³ Zu vgl. Justin (Apol., Adresse); er sagt, daß er eintrete für die ἐκ παντὸς γένους ἀνθρώπων ἀδίκως μισούμενοι καὶ ἐπηρεαζόμενοι. Die Anrede συνταλαίπωρος (-οι) ist wohl aus Röm. 7, 24 zu erklären.
     Tert. IV, 34 heißt es in einer wörtlich mitgeteilten Ausführung M.s zu Luk. 16, 18:   „ ,V i d e s   diversitatem legis et evangelii, Moysis et Christi‘ “.
     Indirekt bestätigen die griechischen Worte, die er hier aus den Antithesen anführt, die Beobachtung, daß M.s Bibel dem Tert. nur lateinisch


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Sinn enthalten haben, sondern auch ausführlichere „argumentationes“ in bezug auf den richtigen Sinn von Bibelstellen ¹. Nun aber bemerkt Tert. ferner noch (IV, 4, s. oben), daß M. in seinen Antithesen das Lukasev. als verfälscht dargestellt habe und zwar von den „protectoribus Iudaismi“ (um die Einheit mit dem Gesetz und Propheten zu erweisen), und sagt dazu ausdrücklich (IV, 3): „M. conititur — natürlich in den Antithesen — ad destruendum statum eorum evangeliorum, quae propria et sub apostolorum nomine eduntur vel etiam apostolicorum ut scil. fidem, quam illis adimit, suo conferat“ ². Also enthielten die Antithesen
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vorgelegen hat:   d e n n   n i e m a l s   z i t i e r t   e r   g r i e c h i s c h   a u s   i h r.   Daß die Antithesen auch schon ins Lateinische übersetzt waren, ist bei dem engen Verhältnis zwischen ihnen und der Bibel M.s wahrscheinlich, wenn auch nicht ganz gewiß. Unter den zahlreichen Anführungen aus den Antithesen in allen fünf Büchern Tert.s gibt es nur noch   e i n e n   Ausdruck, der auf eine griechische Vorlage (die Bezeichnung Christi als ὁ ἐπερχόμενος, Tert. IV, 23, 25) führen könnte; aber er braucht nicht notwendig ihnen entnommen zu sein. Daher der Einfall, die Stelle könne aus einem Briefe M.s stammen, also mit den Antithesen gar nichts zu tun haben.   H i l g e n f e l d   (Ketzergesch. S. 525) nimmt das sogar für gewiß an, indem er dazu aus de carne 2 folgert, Tert. müsse mehrere Briefe M.s gekannt haben, weil er dort den Ausdruck „in quadam epistula“ brauche. Aber dieses Argument ist nichts weniger als sicher; viel näher liegt m. E. die Annahme. daß Tert. die Antithesen meint.
    ¹ Nach IV, 1 kann es scheinen, als müßten die „Antithesen“ durch Gegenüberstellung von ATlichen und evangelischen Stellen ausschließlich und in strengster Fassung nur dem Nachweis gedient haben, daß der Gott des Evangeliums ein neuer Gott sei, der im Gegensatz zum ATlichen stehe; denn Tert. glaubt das ganze Werk durch den kurzen hier gelieferten Nachweis zu widerlegen, daß der ATliche Gott selbst ein Neues vorher verkündigt habe, daß seine Schöpfung voller Antithesen sei und daß man daher aus der Verschiedenheit der Worte und Taten nicht auf die Verschiedenheit der Götter schließen dürfe. Er schließt diesen Nachweis (IV, 2) mit dem Satze: „Habes nunc <ad> Antithesîs expeditam a nobis responsionem; transeo nunc ad evangelii ... demonstrationem“. Allein Tert. kann hier nur an den Grundgedanken des Werks gedacht haben; denn er bringt ja in den folgenden Abschnitten selbst zahlreiche kritische Einzelheiten und Schriftauslegungen, die in den „Antithesen“ gestanden haben, die keineswegs Antithesen im strengen Sinn sind und mit dem Hauptgedanken loser zusammenhängen.
    ² Voransteht: „Marcion nactus epistulam Pauli ad Galatas, etiam ipsos apostolos suggillantis ut non recte pede incedentes ad veritatem


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auch die prinzipiellen Auseinandersetzungen über die „judaistischen Christen“, über die „Verfälschung“ des Evangeliums in der kirchlichen Tradition und gegen die vier Evangelien,   d i e   m i t h i n   a l s   a u t o r i t a t i v e   S a m m l u n g   d a m a l s   s c h o n   e x i s t i e r t e n.   Also müssen auch die Ausführungen über die Apostel und das apostolische Zeitalter, welche M. zu Gal. 1. 2 gegeben hat, hier gestanden haben ¹.
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evangelii (er bezog also den Tadel gegen Petrus auf alle Apostel), simul et accusantis pseudapostolos quosdam pervertentes evangelium Christi“. Man kann daher schwerlich zweifeln, daß M. bei Gal. 1. 2 die ganze Evangelienfrage abgehandelt hat.
    ¹ Es gibt dafür einen von zwei Seiten ineinandergreifenden Beweis: Tert., der IV, 1 ff. zur Prüfung der Bibel M.s übergeht, geht   g l e i c h z e i t i g   zu den Antithesen über und erörtert sofort (c. 1—6) M.s Stellung zum apostolischen Zeitalter, zu den Aposteln, zu den vier Evv. in Anknüpfung an Gal. 2; Maruta aber teilt mit, daß die Marcioniten an Stelle der Apostelgeschichte, die sie verwerfen, die „Summa“, nämlich die Antithesen, gesetzt haben. — Daß M. den Vier-Evv.-Kanon kritisiert hat, folgt auch aus Iren. III, 11, 9: „Marcion totum reiciens evangelium, immo vero se ipsum abscindens ab evangelio, partem gloriatur se habere evangelii“. Überhaupt lehrt der direkt aus den Marcionitischen Urkunden selbst geflossene Bericht des Irenäus ebenfalls, daß in den Antithesen eine Kritik der Urapostel und Evangelisten enthalten war; s. I, 27: „Semetipsum esse veraciorem, quam sunt qui evangelium tradidurent apostoli, suasit Marcion discipulis suis“. III, 2, 2: „Adversantur traditioni, dicentes se non solum presbyteris, sed etiam apostolis exsistentes sapientiores sinceram invenisse veritatem; apostolos enim admiscuisse ea quae sunt legalia salvatoris verbis“. III, 12, 12: „apostolos quidem adhuc quae sunt Iudaeorum sentientes annuntiasse evangelium, se autem sinceriores et prudentiores apostolis esse; unde et M et qui ab eo sunt ad intercidendas conversi sunt scripturas, quasdam quidem in totum non cognoscentes, secundum Lucam autem evangelium et epistolas Pauli decurtantes haec sola legitima esse dicunt, quae ipsi minoraverunt“. III, 13, 1 f: „Solus Paulus veritatem cognovit, cui per revelationem manifestatum est mysterium .... apostoli non cognoverunt veritatem“. Der Ausdruck in bezug auf die Marcioniten: „gloriantur se habere evangelium“, den Iren. zweimal braucht (III, 11; III; 14), setzt eine Kritik an anderen Evangelien voraus, ebenso wie der andere Ausdruck „peritiores apostolis“ (IV, 5 und sonst) eine Kritik an den Aposteln. Bei den schweren Eingriffen übrigens, die auch das 3. Ev. nötig machte, um es der neuen Lehre anzupassen, versteht man Tert.s Bemerkung (IV, 5): „Cur non evangelia Iohannis et Matthei quoque Marcion attigit aut emendanda, si adulterata, aut agnoscenda, si integra?... Igitur dabo consilium discipulis eius, ut aut et illa convertant, licet sero“ etc.


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    Sobald das aber sicher ist, kann nicht bezweifelt werden, daß auch der große Stoff Marcionitischer Erklärungen von Bibelstellen, den Tert. fortlaufend im 4. und 5. Buch adv. Marc. und auch schon in den drei ersten Büchern bringt ¹ und den andere literarische Gegner M.s herbeiführen, ferner dogmatisch-kritische Darlegungen verschiedener Art ² sowie polemische, disputartige Ausführungen aus den Antithesen stammen. Dann also waren die Antithesen keineswegs nur ein großes Bündel kurzgefaßter Thesen und Gegenthesen, sondern sie hatten von diesen nur den Namen; sie selber aber waren eingebettet in ein Werk, in welchem das Evangelium und Apostolikon, sei es fortlaufend, sei es — wahrscheinlicher — an zahlreichen einzelnen Stellen apologetisch-polemisch, d. h. auch   a n t i t h e t i s c h   kommentiert waren.
    Aber nicht nur Stellen aus Lukas und Paulus waren in den Antithesen behandelt, sondern auch solche aus den Schriften der „judaistischen“ Apostel bzw. Evangelisten. Wenn man bei Origenes (Comm. XV, 1 ff. in Matth., T. III p. 333) eine Ausführung M.s zu Matth. 19, 12 ff. liest (Selbstentmannung), so kann diese nur in den Antithesen gestanden haben. Dasselbe gilt in bezug auf Matth. 5, 17; denn es unterliegt nach Tert. (IV. 7. 9. 12. 36; V, 14) keinem Zweifel, daß M. den Spruch, Jesus sei zur Erfüllung des Gesetzes und der Propheten gekommen, als einen falschen ausdrücklich abgelehnt und in sein Gegenteil verkehrt hat. Ferner geht aus Tert. III, 12 f. deutlich hervor, daß M. sich gegen Matth. 1, 23 und 2, 11 gerichtet hat, indem er die Erfüllung der Weissagung Jes. 7, 14 in Jesus auf Grund von Jes. 8, 4 bestritt. In Hinsicht auf Tert. IV, 34 ist es, wie   Z a h n   (Kanonsgesch. I S. 670) richtig gesehen hat, sehr wahrscheinlich, daß M., als er Luk. 16, 18 behandelte, auch Matth. 19, 3—8 ablehnend berücksichtigt hat. Um seine Auffassung vom Leibe Christi zu verteidigen, den er so auffaßte, wie sich die katho-
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    ¹ Nur an wenigen Stellen kann man zweifeln, ob Tert. wirklich Ausführungen M.s bringt oder ihm Erklärungen supponiert. Tert. ist in dieser Hinsicht gewissenhaft; vgl. auch seine ausdrückliche Bemerkung de bapt. 12: „Audivi domino teste eiusmodi, ne quis me tam perditum existimet, ut ultro excogitem libidine stili, quae aliis scrupulum incutiant“. Wenn er dem M. etwas supponiert, ist die Supposition in der Regel an sich deutlich oder er fügt, wie II, 17 „dices forsitan“ ein.
    ² Vor allem eine Kritik der Geschichte vom Sündenfall.


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lischen Christen die von den Engeln bei ihren Erscheinungen angenommenen Leiber dachten, hat M. (nach Tert., De carne 3) auch gefragt, wo denn der Leib der Taube geblieben sei, in welchem der h. Geist erschienen. Da die Taufgeschichte in seinem Evangelium gestrichen war, hat er sich hierbei also der anderen Evangelien erinnert. Daß Johanneische Stellen in den Antithesen behandelt waren, läßt sich nicht sicher nachweisen; aber es ist möglich, daß M. auf die Fußwaschung eingegangen ist (s. Chrysost., Hom. VII in Phil., T. XI p. 246), und Ephraem (47. Lied gegen die Ketzer c. 2) berichtet vom Spott der Marcioniten über die Hochzeit zu Kana ¹. Vgl. Beilage IV S. 249* ff.
    Apokryphes findet sich unter den Sprüchen Jesu, die M. geboten hat, nicht; er hat sich streng an das korrigierte dritte. Ev. gehalten. Es wird daher auch nicht Marcion sein, welcher nach Clem., Strom. IV, 6, 41, den evangelischen Spruch geboten hat: Μακάριοι οἱ δεδιωγμένοι ὑπὲρ τῆς δικαιοσύνης, ὅτι αὐτοὶ ἔσονται τέλειοι. Clemens macht zwar für ihn die μετατιθέντες τὰ εὐαγγέλια verantwortlich, so daß man an M. denken könnte; aber er hat hier wohl Enkratiten im Auge, wie ja auch der Begriff „τέλειος“ ihnen, nicht aber M., nahe lag. An einen apokryphen Spruch, bzw. an eine Textfassung bei Luk., die wir heute nicht mehr besitzen, kann man vielleicht bei Clem., Strom. III, 10, 69 denken, wo es heißt, nach der Exegese der Marcioniten habe der Herr gelehrt, μετὰ μὲν τῶν πλειόνων τὸν δημιουργὸν εἶναι, τὸν γενεσιουργὸν θεόν, μετὰ δὲ τοῦ ἑνὸς τοῦ ἐκλεκτοῦ τὸν σωτῆρα, ἄλλου δηλονότι θεοῦ τοῦ ἀγαθοῦ υἱὸν πεφυκότα. Allein das kann auch eine Auslegung z. B. zur Geschichte von den zehn Aussätzigen sein. Was den Umfang des AT.s betrifft, das M. benutzt hat, so hat er, soviel ich sehe, nur solche Bücher herangezogen, die dem hebräischen Kanon angehören. Aber einen sicheren Schluß möchte ich hier nicht ziehen.
    Von der   F o r m   des Werkes vermag man sich nach dieser Ausführung doch noch keine Vorstellung zu machen. Nicht nur bleibt die Frage im Dunkeln, ob fortlaufende Erklärungen anzunehmen sind, sondern auch das Verhältnis zur Bibel M.s bietet ein Problem. Liest man nämlich das 4. und 5. Buch Tert.s gegen M.,
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    ¹ Die Zitate des Marcioniten Markus (bei Adamantius) aus dem Joh.-Ev. kommen für M. selbst nicht in Betracht.


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so hat man nicht den Eindruck, daß Tert. außer der Marcionitischen Bibel noch ein anderes Werk neben sich liegen hatte, vielmehr scheint er den Text und die Auslegungen und Exkurse M.s (samt den Antithesen im strengen Sinn des Worts) aus   e i n e m   Werke zu schöpfen. Dieser Eindruck ist so stark, daß   H a h n   (Ev. Marcions S. 108 ff.) und   R i t s c h l   (Ev. M.s S. 18. 120) die Hypothese aufgestellt haben, die „Antithesen“ hätten aus zwei Teilen bestanden, ein vorwiegend dogmatisch-historischer Hauptteil hätte als Einleitung vor dem Ev. und Apostolikon gestanden, und ein zweiter Teil hätte als Scholien exegetischer und kritischer Art den gesamten Text der biblischen Bücher begleitet. Allein die anderen Zeugen für M.s Bibel haben nichts anderes vor sich gehabt als den puren Text, und Tert. selbst behandelt die Antithesen, wenn er von ihnen ausdrücklich spricht, fraglos als ein ganz selbständiges Werk. Am deutlichsten ist das IV, 1, wo es heißt: „Ut fidem instrueret, dotem quandam commentatus est evangelio ....., qua duos deos dividens .... evangelio ..... patrocinaretur. sed et istas proprio congressu comminus, i. e. per singulas iniectiones Pontici, cecidissem, si non multo opportunius in ipso et cum ipso evangelio, cui procurant, retunderentur“. Es ist also Tert., der bei dem Unternehmen im 4. und 5. Buch, M. aus seiner eigenen Bibel zu widerlegen, diese und die Antithesen zusammengeschoben hat. Daß ihm aber das so glücken konnte, daß man meinen muß, er habe nur eine einzige Vorlage vor sich, kann schwerlich anders erklärt werden, als daß die „Antithesen“ in einem Hauptabschnitt oder in dem Hauptteil den wichtigen Stellen in dem Evangelium und den Paulusbriefen Kapitel für Kapitel gefolgt sind. Dann konnte Tert. ohne Mühe bei jeder Stelle die Marcionitische Auslegung bzw. Bemerkung finden und wiedergeben. Die Bibeltexte waren also zu einem beträchtlichen Teil in den Antithesen wiederholt — das läßt sich namentlich auch aus den einzelnen Antithesen, wie sie bei Adamantius wiedergegeben sind, beweisen —, und von hier aus mag sich auch ein Teil der Unsicherheiten in der Textfassung M.s, die die Überlieferung aufweist, aufs einfachste erklären; denn daß die in die Antithesen hinübergenommenen Texte in Einzelheiten nicht immer mit den Texten im Kodex stimmten, ist nicht auffallend. Wir dürfen annehmen, daß vor allem die von Adamantius gebotenen Texte zu einem Teil nicht

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direkt aus der Bibel M.s, sondern aus den „Antithesen“, in denen sie standen, stammen.
    Hiermit ist, die Form des Werkes betreffend, wenigstens soviel gewonnen, daß wir zwei Teile unterscheiden dürfen, (1) historisch-dogmatische Ausführungen, die mit der Darlegung des Verhältnisses des Paulus zu den Uraposteln ¹, der Rechtfertigung der neuen Bibel und der Zurückweisung der falschen Evangelien und der Apostelgeschichte begannen, und (2) einen fortlaufenden, wenn auch eklektischen Scholienkommentar ² mit „iniectiones“. Da aber auch dieser Teil durchweg auf   e i n e n   Ton gestimmt war und in ermüdender Wiederholung den Gegensatz von Gesetz und Evangelium und deshalb der beiden Götter predigte, so konnte nicht nur das Ganze „Antitheses“ heißen, sondern es war auch wirklich ein Antithesen-Werk.
    Eine Schwierigkeit ist bei der Rekonstruktion dieses Werkes noch dadurch gegeben, daß Tert. in seiner Polemik in allen fünf Büchern sich nicht nur gegen Marcion richtet, sondern in buntem Wechsel auch an die Marcioniten, und nicht nur jenen redend einführt, sondern ebensooft auch diese, ja öfters ist das Tiefste und Aufklärendste, was er aus der Lehre Marcions beibringt, in der Form gegeben: „Die Marcioniten sagen“ oder „Ihr sagt“. Es ist hier offenbar, daß Tert. wirklich Marcioniten vor sich hat, ja man hat an einigen Stellen den sicheren Eindruck, daß seine Ausführungen und die Bemerkungen seiner Gegner der
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    ¹ Merkwürdig ist, daß auch Porphyrius sein umfangreiches Werk über die Christen mit der Kritik des Streits des Paulus mit den Uraposteln (Gal. 2) begonnen hat; denn sie stand im 1. Buch des Werkes (s.   m e i n e   Sammlung der Porphyrius-Fragmente Nr. 21, S. 53). Hat Porphyrius die „Antithesen“ direkt oder indirekt gekannt?
    ² Aus Origenes’ Auseinandersetzungen mit M. gewinnt man den sicheren Eindruck, daß ihm Erklärungen M.s zu sehr vielen Bibelstellen vorgelegen haben; deshalb kann er sich (Comm. I, 18 in Rom., T. VI p. 55 f. Lomm.) beschweren, daß die Marcioniten „ne extremo quidem digito“ die Schwierigkeiten berührt haben, die in Röm. 1, 24 f. liegen. Man kann geradezu sagen, daß ihm ein Teil der Marcionitischen Bibel kommentiert vorlag; aber das ist auch der Eindruck, den man aus Tert., Adv. Marc. IV. V gewinnt. Man muß sich diese Erklärungen formell etwa wie die in   B e n g e l s   Gnomon denken, aber nicht als fortlaufende Beischriften zum NT, sondern im Antithesen-Werk.


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Widerhall von Disputationen sind, die Tert. mit ihnen in Karthago geführt hat. Dennoch sind diese Partien nicht mit dem Messer von den Zitaten, die aus den Antithesen beigebracht werden, zu scheiden. Die Ungewißheit indes, die hier übrigbleibt, ist für die Frage des geistigen Eigentums M.s deshalb nicht störend, weil es sich in diesen Fällen nicht um das Problem der Ἀρχαί bei M. und ihr gegenseitiges Verhältnis handelt — hier gingen die Schüler sehr bald auseinander und ergänzten den Meister in verschiedener Weise —, sondern um die Grundfragen Marcionitischen Glaubens und Marcionitischer Gesinnung. In diesen ist aber selbst Apelles, der sich in der Theologie am weitesten von seinem Meister entfernte, ein echter Marcionit geblieben. Was die Schüler über die beiden Sphären, die der Gerechtigkeit und die der Liebe, ferner über Sünde, Gesetz, Evangelium und Erlösung geäußert haben, ist so einstimmig, daß es mit Sicherheit als das geistige Eigentum M.s selbst in Anspruch genommen werden darf.
    Eine Rekonstruktion der Antithesen ist unmöglich, weil ja nicht einmal die Disposition des Werks deutlich ist. Durch bloße Zusammenstellungen der Antithesen im engsten Sinn des Worts ist wenig gewonnen, zumal da sich in der Überlieferung zahlreiche halbe Antithesen finden, die der Ergänzung bedürfen, sei es aus dem AT, sei es aus dem Evangelium. Von großer Wichtigkeit ist es aber, daß M. in den Antithesen augenscheinlich niemals gegen   z w e i   schriftliche Testamente seiner Gegner polemisiert hat. Immer ist es   l e d i g l i c h   das AT, das er als die geoffenbarte litera scripta des falschen Christentums angreift; von   z w e i   Offenbarungsurkunden der großen Kirche, einer alten und einer neuen, weiß er schlechterdings nichts. Daraus folgt mit Evidenz, daß die Kirche seiner Zeit ein NT noch nicht besessen hat, wie das ja auch aus Justins Dialog mit Trypho deutlich hervorgeht ¹. Der litera scripta seiner Gegner, dem AT, setzt er seine neue litera scripta, das Evangelium und den Apostolos, entgegen. Gewiß sah er bereits die vier Evangelien als höchstgeschätzte Werke in ihren Händen; aber sie hatten bei ihnen noch nicht
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    ¹ Die beiden Testamente als  s c h r i f t l i c h e   sind auch bei dem Presbyter des Irenäus noch nicht deutlich.


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die Dignität,   s c h r i f t l i c h e   Urkunde des   n e u e n   Bundes und daher das zweite Testament zu sein.
    Abgesehen von der Einleitung, welche die vier Evangelien der großen Kirche als falsche zurückwies, die Apostel und Apostelschüler des Judaismus zieh, den durch eine besondere Offenbarung berufenen Apostel Paulus allein gelten ließ und sein Evangelium mit dem direkt von Christus geschenkten, dem Lukas entfremdeten und von judaistischen Interpolationen gereinigten dritten Evangelium identifizierte — lag die Stärke der Antithesen, soweit sie nicht exegetische Ausführungen zur neuen Bibel enthielten, in der Kritik des ATs.
    Diese Kritik verfolgte einen doppelten Zweck: erstlich sollte sie die unbarmherzige „Gerechtigkeit“, peinigende Strenge und Grausamkeiten, Leidenschaften, Eifer und Zorn des Weltschöpfers, ferner seine bösen Parteilichkeiten, Kleinlichkeiten und Beschränktheiten, endlich seine Selbstwidersprüche und Schwächen, sein haltloses Schwanken und seine sittlich oft so bedenklichen Gebote und Befehle ans Licht ziehen; diese Kritik gipfelte in dem Nachweis, daß er auch der „conditor malorum“, der Erreger von Kriegen, lügenhaft in seinen Versprechungen und boshaft in seinen Taten sei ¹. Zweitens sollte diese Kritik dartun, daß alle Verheißungen des Weltschöpfers irdisch und zeitlich seien und sich, soweit sie nicht ganz haltlos, bereits in der Geschichte des jüdischen Volkes erfüllt hätten oder noch erfüllen würden; deshalb sei auch der verheißene Messias ein irdischer Kriegskönig, der wirklich noch kommen werde; die auf ihn zielenden Weissagungen seien aber nicht zahlreich, da sich das meiste schon in David, Salomo usw. erfüllt habe und fälschlich auf den zukünftigen Messias gedeutet werde ². Mit dieser Kritik stellte sich M. in der Kontroverse zwischen den Großkirchenleuten und den Juden in bezug auf die Deutung des ATs auf die Seite der letzteren; die ungünstige und von seinen kirchlichen Gegnern
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    ¹ Eine gute Übersicht über alle schlimmen Eigenschaften des Weltschöpfers nach M. in den pseudoklementinischen Homilien II, 43.
    ² Der Inhalt der Antithesen deckt sich also vollständig mit den Absichten, die M. bei seinen Korrekturen des Evangeliums und der Paulusbriefe geleitet haben; s. o. S. 64.


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reichlich ausgebeutete ¹ Position, in die er dadurch kam, nahm er entschlossen in den Kauf. Unzweifelhaft hat er Argumente benutzt, welche die jüdische Polemik gegen die kirchliche Auslegung der messianischen Stellen des ATs gerichtet hat. Daß er sie ihr entnommen hat, kann man mit großer Wahrscheinlichkeit, aber nicht mit Sicherheit behaupten, s. o. S. 22, auch 67.
    Ein tieferes Eindringen in den Geist des ATs oder gar eine wirklich historische Betrachtung desselben fehlt auch M. vollständig. Indessen hat auch die moralisch-religiöse, einfach auf dem Wortlaut fußende Kritik ihr Recht einer Urkunde gegenüber, die als heilig und maßgebend gelten will. Sehr bemerkenswert ist aber, daß M. das AT als geschlossenes Ganze anerkannt, keine Verfälschungen, Interpolationen usw. angenommen und das Buch auch nicht für „lügenhaft“, vielmehr für durchaus glaubwürdig gehalten hat. Während er zahlreiche urchristliche Bücher als judaistische Fälschungen beurteilte und das 3. Evangelium sowie die Paulusbriefe, wie sie die Kirche las, für stark interpoliert erklärte, dehnte er diese Art Kritik nicht auf das AT aus (s. o.) ². Dies ist um so auffallender, als zu seiner Zeit in einigen Kreisen des Spätjudentums, besonders aber bei den Gnostikern, Versuche einer differenzierenden Würdigung des ATs nicht fehlten, die bis zur Ausmerzung einzelner Teile und zur Annahme größerer oder geringerer Interpolationen vorschritten. Die ablehnende Haltung M.s ³ stellt ihn auch hier wiederum an die Seite des orthodoxen Judentums, dessen christenfeindliche, zeitgeschichtliche Auslegung des ATs er ja auch billigte und wahrscheinlich übernommen hat. In dieser Hinsicht kommt namentlich die Ablehnung jeder allegorischen und typologischen Erklärung in Betracht, die für M., wie bereits oben S. 66 f. gezeigt worden, besonders charakteristisch ist. Es haben in den Antithesen ausdrückliche Zurückweisungen dieser schwarzen
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    ¹ Tertullian hat z. T. wörtlich dieselben Argumente sowohl gegen die Juden (adv. Jud.) als auch gegen die Marcioniten (adv. Marc. III) hier gerichtet; vgl. III, 8: „Desinat nunc haereticus a Iudaeo mutuari venenum“.
    ² Daß er doch eine gewisse Unterscheidung im AT gemacht hat, darüber s. Kap. VI, 3.
    ³ Ob er nicht doch einiges im AT höher schätzte, wird später zu untersuchen sein.


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Kunst nicht gefehlt ¹, mittels welcher die Kirchenväter ihre ganze Geschichtsbetrachtung zum Ausdruck bringen. Indem M. sie ablehnte, war er von vornherein nicht mehr in der Lage, das AT anzuerkennen und seine Konkordanz mit der christlichen Offenbarung festzuhalten. Aber natürlich ist die Beanstandung dieser Konkordanz bei ihm das Erste und die Verwerfung der allegorischen Methode die Folge.
    Der ergreifende Jubelruf (s. o. S. 74), mit dem das Antithesen-Werk höchstwahrscheinlich begonnen hat („O Wunder über Wunder, Verzückung, Macht und Staunen ist, daß man gar nichts über das Evangelium sagen, noch über dasselbe denken, noch es mit irgend etwas vergleichen kann“) — der einzige längere Satz, den wir aus M.s Feder wörtlich besitzen —, ist sicher nicht maßgebend für die Feststellung des Stils, in dem das Werk verfaßt war; vielmehr zeigen die übrigen umfangreichen Reste einen ganz nüchternen und sachlichen Stil.
    In der Beilage V sind die Reste der „Antithesen“ vollständig, ja übervollständig gesammelt, da manches hier den Schülern zukommen mag, was sich von den Worten des Meisters nicht scheiden läßt (s. o. S. 83). Die Disposition des Materials mußte arbiträr sein. Den ausführlichen Bericht über M.s Lehre bei Esnik habe ich ausgeschlossen, da er wahrscheinlich nicht rein auf den Meister selbst zurückgeht.
    Einiges Wesentliche zur Charakteristik der „Antithesen“ soll aber auch an dieser Stelle zum Schluß mitgeteilt werden:
    (1) Kein Stichwort scheint in den Antithesen häufiger gewesen zu sein als „neu“. Es erklärt den Jubelruf, mit dem sie beginnen. Man vergleiche „Novus deus“ (Tert. I, 9; IV, 20 und sonst), ἡ καινὴ θεότης (Orig., Comm. in Joh. I § 82), „regnum novum“; „regnum novum et inauditum“ (Tert. III, 24; IV, 24); Christus bringt das Neue, weil er sich selbst gebracht hat (Iren. IV, 33, 14 f.), „Christus novus dominator atque possessor elementorum“ (Tert. IV, 20), „novae doctrinae novi Christi“ (IV, 28), „virtutes Christi novae“ (III, 3 f.), „novum documentum der Macht und der Güte Christi durch die Erweckung des Jünglings
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    ¹ Vermutlich hat er sich am Anfang der „Antithesen“ über seine hermeneutischen Grundsätze, bzw. über die Ablehnung der allegorischen Methode geäußert.


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von Nain“ (IV, 18), „novum praeceptum, die Sünden immer wieder zu vergeben“ (IV, 35), „novum est,   a l l e n   Brüdern zu vergeben“ (IV, 16), „nova Christi institutio der Sabbatsgebotsaufhebung“ (IV, 12), „nova Christi benignitas“ (IV. 10), „nova patientia, die sich in den neuen Geboten Christi offenbart“ (IV, 16), „forma sermonis in Christo nova, cum similitudines obiicit, cum quaestiones refutat“ (IV, 11), „Paulus auctor aut confirmator novus“ (V, 10), „novitas testamenti spiritus“ (V, 11), „nova creatura“ (nach II Kor. 5, 17; Adamant. II, 16 f.).
    (2) Auf gewisse Stellen im AT und in seinem NT hat Marcion in den Antithesen besonders kräftig und wahrscheinlich wiederholt hingewiesen — im AT auf den Sündenfall (Tert. I, 2: „languens circa mali quaestionem“; Tert. II, 5: „haec sunt argumentationis ossa, quae obroditis“; Orig., De princ. I, 8, 2; II, 5, 4: „famosissima quaestio Marcionitarum“), auf den Raub der silbernen und goldenen Gefäße Ägyptens (der Presbyter bei Irenäus IV, 30. 31, Tert. II, 20; IV, 24), auf Jesaj. 7, 14; 8, 4 (Tert. III, 12: „provoca   u t   s o l e s“);   im NT auf die Stellen vom faulen und guten Baum und vom neuen Flicken und dem alten Kleid, auf Luk. 10, 22 („Nur der Sohn kennt den Vater;“ Tert. IV, 25: „hinc et alii haeretici fulciuntur“), auf Galat. 2 („principalis adversus Judaeos epistula“, vv. ll.), auf die Seligpreisungen (Tert. IV, 14: „venio nunc ad   o r d i n a r i a s   s e n t e n t i a s   eius, per quas  p r o p r i e t a t e m   d o c t r i n a e   s u a e   i n d u c i t,   ad   e d i c t u m,   ut ita dixerim,   C h r i s t i“),   auf Luk. 18, 19 („Niemand ist gut als Gott allein“, Orig., De princ. II, 5, 4: „die Marcioniten sehen in diesem Spruch gleichsam einen eigens ihnen gegebenen Schild“ ¹), auf Luk. 16, 16 („das Gesetz und die Propheten reichen bis Johannes“ Tert. IV, 33) und auf II Kor. 3, 3—13 (Tert. V, 11: „novum testamentum quod manet in gloria, vetus quod evacuari habebat“).
    (3) Nicht in den kurzen förmlichen Antithesen, die zu vielen Dutzenden in dem Werk gestanden haben, konnte M. das Tiefste, was er zu sagen hatte, zum Ausdruck bringen, aber sie sind doch für seine dezidierte christliche Denkart besonders charakteristisch.
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    ¹ Vgl. Tert. I, 25: „Deus bonus beatum et incorruptibile est neque sibi neque aliis molestias praestat: hanc sententiam   r u m i n a t   Marcion“.


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Daher mag hier die Mehrzahl in bunter Reihe stehen ¹. Angeregt haben ihn zu dieser literarischen Form sowohl die scharfen Gleichnisse Jesu (vom faulen und guten Baum und vom neuen Kleid und alten Flicken, die er auf die beiden Götter und ihre Ökonomie bezogen und an die Spitze seiner Darlegungen gestellt hat) ², als auch die Paulinischen Antithesen im Galat.- und Römerbrief.
    (I) Der Demiurg wurde Adam und den folgenden Geschlechtern bekannt, der Vater Christi aber ist unbekannt, wie Christus selbst von ihm in den Worten gesagt hat: Niemand hat den Vater erkannt außer der Sohn.
    (II) Der Demiurg wußte nicht einmal, wo Adam weilte und rief daher: Wo bist du? Christus aber kannte auch die Gedanken der Menschen.
    (III) Josua hat mit Gewalt und Grausamkeit das Land erobert; Christus aber verbietet alle Gewalt und predigt Barmherzigkeit und Friede.
    (IV) Der Schöpfergott machte den erblindeten Isaak nicht wieder sehend, unser Herr aber, weil er gut ist, öffnete vielen Blinden die Augen.
    (V) Moses mischte sich ungerufen in den Streit der Brüder, fuhr den Übeltäter an: Warum schlägst du deinen Nächsten? und wurde von ihm zurückgewiesen: Wer hat dich zum Lehrer oder Richter über uns gesetzt? Christus aber, als ihn einer aufforderte, daß er Erbschlichter sei zwischen ihm und seinem Bruder, verweigerte seine Mitwirkung sogar in einer so billigen Sache — weil er der Christus des guten und nicht des Richter-Gottes war — und sprach: Wer hat mich zum Richter über euch gesetzt?
    (VI) Der Schöpfergott gab dem Moses beim Auszug aus Ägypten den Auftrag: Seid bereit, an den Lenden umgürtet, beschuht, die Stäbe in den Händen, die Säcke auf den Schultern, und traget Gold und Silber und all das, was den Ägyptern gehört, mit euch davon; unser Herr aber, der Gute, sprach zu seinen Jüngern bei ihrer Aussendung in die Welt: Habt keine Schuhe
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    ¹ Die Fundorte findet man in der Beilage.
    ² Die nächste Parallele bieten die Antithesen der Bergpredigt bei Matth. 5; auch sie können M. angeregt haben, obgleich er das Matth.-Ev. nicht gelten ließ; denn er kannte es ja.


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an den Füßen, keinen Sack, kein zweites Gewand, kein Kleingeld in euren Gürteln!
    (VII) Der Prophet des Schöpfergotts stieg, als das Volk in der Schlacht stand, auf den Gipfel des Berges und breitete seine Hände aus zu Gott, damit er möglichst viele in der Schlacht töte; unser Herr aber, der Gute, breitete seine Hände (scil. am Kreuze) aus, nicht um Menschen zu töten, sondern um sie zu erlösen.
    (VIII) Im Gesetze heißt es: Auge um Auge, Zahn um Zahn; der Herr aber, der Gute, spricht im Evangelium: Wenn dich jemand auf den einen Backen schlägt, so biete ihm auch den andern dar.
    (IX) Im Gesetz heißt es: Kleid um Kleid; aber der gute Herr sagt: Wenn jemand dein Kleid nimmt, laß ihm auch den Mantel.
    (X) Der Prophet des Schöpfergotts ließ, um in der Schlacht möglichst viele zu töten, die Sonne stille stehen, damit sie nicht untergehe, bevor die feindlichen Gegner des Volks sämtlich vernichtet seien; der Herr aber, der Gute, spricht: Die Sonne soll nicht untergehen über eurem Zorn.
    (XI) Die Blinden sind David bei der Wiedereroberung von Zion feindlich entgegengetreten, indem sie gegen seinen Einzug sich stemmten, und David hat sie töten lassen; Christus aber kam aus freien Stücken den Blinden hilfreich entgegen.
    (XII) Der Weltschöpfer schickt auf die Forderung des Elias die Feuerplage; Christus aber verbietet den Jüngern, Feuer vom Himmel zu erbitten.
    (XIII) Der Prophet des Schöpfergotts gebot den Bären, aus den Dickicht hervorzubrechen und die ihm begegnenden Kinder zu fressen; der gute Herr aber spricht: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Himmelreich.
    (XIV) Elisa, der Prophet des Weltschöpfers, hat von so vielen israelitischen Aussätzigen nur den   e i n e n   Aussätzigen, den Syrer Naaman, gereinigt; Christus hat, obgleich „der Fremde“, einen Israeliten geheilt, den sein Herr [der Weltschöpfer] nicht hatte heilen wollen, und Elisa brauchte einen Stoff zur Heilung, nämlich Wasser, und siebenmal, Christus aber heilte durch   e i n   einmaliges bloßes Wort und sofort. Elisa hat nur   e i n e n   Aussätzigen


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geheilt, Christus aber zehn, und diese gegen die gesetzlichen Bestimmungen; er ließ sie einfach des Weges gehen, auf daß sie sich den Priestern zeigten, und auf dem Wege reinigte er sie bereits — ohne Berührung und ohne ein Wort, durch schweigende Kraft, lediglich durch seinen Willen.
    (XV) Der Prophet des Weltschöpfers spricht: Meine Bogen sind gespannt und meine Pfeile gespitzt gegen sie; der Apostel aber sagt: Ziehet die Rüstung Gottes an, auf daß ihr die feurigen Pfeile des Schlimmen auszulöschen vermögt.
    (XVI) Der Weltschöpfer sagt: Mit den Ohren sollt ihr nicht (mehr) hören; Christus dagegen: Wer Ohren hat zu hören, der höre.
    (XVII) Der Weltschöpfer sagt: Verflucht ist jeder, der an das Holz gehenkt ist; Christus aber erlitt den Kreuzestod.
    (XVIII) Der Juden-Christus wird vom Weltschöpfer ausschließlich dafür bestimmt, das Judenvolk aus der Zerstreuung zurückzuführen, unser Christus aber ist vom guten Gott mit der Befreiung des gesamten Menschengeschlechts betraut worden.
    (XIX) Der Gute ist gegen alle gut; der Weltschöpfer aber verheißt nur denen, die ihm gehorsam sind, das Heil ... Der Gute erlöst die, die an ihn glauben, nicht aber richtet er die, die ihm ungehorsam sind; der Weltschöpfer aber erlöst seine Gläubigen und richtet und straft die Sünder.
    (XX) Maledictio charakterisiert das Gesetz, benedictio den Glauben (das Evangelium).
    (XXI) Der Weltschöpfer gebietet, den Brüdern zu geben, Christus aber, schlechthin allen Bittenden.
    (XXII) Im Gesetz hat der Weltschöpfer gesagt: Ich mache den Reichen und den Armen; Christus aber preist (nur) die Armen selig.
    (XXIII) In dem Gesetze des Gerechten wird das Glück den Reichen gegeben und das Unglück den Armen; im Evangelium ist es umgekehrt.
    (XXIV) Im Gesetz spricht Gott (der Weltschöpfer): Du sollst lieben den, der dich liebt, und deinen Feind hassen; unser Herr, der Gute, aber sagt: Liebet eure Feinde und bittet für die, die euch verfolgen.
    (XXV) Der Weltschöpfer hat den Sabbat angeordnet; Christus aber hebt ihn auf.

92 Die „Antithesen“ Marcions

    (XXVI) Der Weltschöpfer lehnt die Zöllner als nicht jüdische und profane Menschen ab; Christus nimmt die Zöllner an.
    (XXVII) Das Gesetz verbietet die Berührung eines blutflüssigen Weibes, Christus berührt sie nicht nur, sondern heilt sie auch.
    (XXVIII) Moses erlaubt die Ehescheidung, Christus verbietet sie.
    (XXIX) Der Christus des AT verspricht den Juden die Wiederherstellung des früheren Zustandes durch Rückgabe ihres Landes und nach dem Tode in der Unterwelt eine Zuflucht in Abrahams Schoß; unser Christus wird das Reich Gottes, eine ewige und himmlische Besitzung, aufrichten.
    (XXX) Beim Weltschöpfer sind der Straf- und der Zufluchtsort, beide, in der Unterwelt gelegen für die, die in der Hörigkeit des Gesetzes und der Propheten stehen; Christus aber und der Gott, zu dem er gehört, haben einen himmlischen Ruheort und Hafen, den der Weltschöpfer niemals verkündet hat.
    Wer die Antithesen mit dem von M. hergestellten Bibeltext (aber auch mit dem Inhalt des gefälschten Laodizenerbriefs und dem der „Argumenta“) vergleicht, muß staunen über die wuchtige Einheit und Einförmigkeit der wenigen Hauptgedanken, auf die alles hier reduziert wird. Nach M. soll man Evangelium, Briefe und AT   n u r   unter dem Gesichtspunkte lesen, wie neu die Botschaft von dem erlösenden Gott der Liebe und wie furchtbar und jämmerlich zugleich der schlimm-gerechte Gott der Welt und des Gesetzes ist. Nie wieder sind in der Geschichte des Christentums das Evangelium und das überlieferte ATliche und spätjüdische Kapital so stark reduziert, so eindeutig interpretiert und in einer so einfachen Formulierung zusammengefaßt worden, wie es hier geschehen ist. Nur Luther mit seinem Rechtfertigungsglauben vermag hier mit Marcion zu rivalisieren; aber indem er die Identität des Schöpfergottes und des Erlösergottes festhielt, vermochte er mit diesem Glauben den ganzen Reichtum der Heilsgeschichte und der „Gottesspuren“ zu verbinden, den M. preisgeben mußte.

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Letzte Änderung am 15. Dezember 2017