ADOLF VON HARNACK
MARCION: DAS EVANGELIUM VOM
FREMDEN GOTT
Beilage I, Seite 1*—30*
1*
Beilagen
2*
Leere Seite
3*
Beilage I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions nach den
ältesten Zeugnissen und späteren Angaben.
Für eine Biographie Marcions fehlen die Unterlagen. Ob aus dem,
was uns von seinem Wirken erhalten ist, Schlüsse auf seine
Entwicklung gezogen werden können, muß die Untersuchung
zeigen. Doch lassen sich wenigstens einige sichere Daten, die Zeit
seiner Wirksamkeit und Persönliches betreffend, aus
äußeren Zeugnissen feststellen. Diese habe ich (Die
Chronologie der altchristlichen Literatur I, 1897, S. 297—311)
eingehend untersucht. Indem ich hierauf verweise, nehme ich die Aufgabe
noch einmal auf, die Untersuchung teils verkürzend, teils
erweiternd.
1. D a s
ä l t e s t e Z e u g n i s, d a
s d e s P o l y k a r p, B i s c h o f
s v o n S m y r n a ¹.
Unter den großen Häretikern des 2.
Jahrhunderts ist Marcion der Einzige, der sich nachweisbar mit einem
hervorragenden
—————
¹ B a u r, der die
Pastoralbriefe gegen
die Marcioniten geschrieben sein ließ, wollte in den „ἀντιθέσεις“
I Tim. 6, 20 f. das Hauptwerk M.s erkennen (τὴν παραθήκην φύλαξον,
ἐκτρεπόμενος τὰς βεβήλους κενοφωνίας [καινοφωνίας nach Cod. G und
wenigen griechischen Zeugen; aber „vocum novitates“ ist die nahezu
einstimmige altlateinische Lesart] καὶ ἀντιθέσεις τῆς ψευδωνύμου
γνώσεως, ἥν τινες ἐπαγγελόμενοι περὶ τὴν πίστιν ἠστόχησαν. Daß
die Pastoralbriefe antimarcionitisch sind, ist längst widerlegt;
aber I Tim. 6, 17—21 ist höchstwahrscheinlich ein Zusatz; er
könnte antimarcionitisch sein und auf die „Antithesen“ anspielen.
Allein Wenn ἀντιθέσεις auf den Buchtitel anspielen sollte, wäre es
schwerlich mit κενοφωνίαι zu e i n e m
Ausdruck verbunden, und auch die unzutreffende Bezeichnung ἡ ψευδώνυμος
γνῶσις für M.s Lehre wäre in so früher Zeit
befremdlich, da noch Irenäus und Tertullian scharf zwischen
Gnostikern und Marcioniten unterscheiden. Es ist daher wahrscheinlich,
daß das Zusammentreffen mit dem Titel des marcionitischen
Hauptwerks zufällig ist; ein Rest von Unsicherheit bleibt nach,
weil sich m. W.
4*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
Apostelschüler
noch
persönlich berührt hat; das ist für seine geschichtliche
Stellung von Bedeutung ¹. Irenäus (III, 3. 4) berichtet;
„Polykarp nahm unter Anicet einen Aufenthalt in Rom und führte
(daselbst) viele von den vorhergenannten Häretikern (d. h. von den
Valentinianern und Marcioniten) wieder in die Kirche Gottes
zurück“ ². Hierauf erzählt er eine Anekdote von dem
Zusammentreffen des Johannes mit Cerinth und fährt dann fort:
„Polykarp erwiderte dem Marcion, als er ihm einmal unter die Augen kam
und sagte: „Erkenne uns an“: „Ja, ich erkenne dich an — als den
Erstgeborenen des Satan“ ³.
Da Polykarp am 23. Febr. 155 den Märtyrertod
erlitten hat , so steht nach diesem Zeugnis
fest, daß es, als er kurz vorher in Rom war, damals schon eine
zahlreiche marcionitische Gemeinde dort gegeben hat. Daß er aber
in Rom persönlich mit M. zusammengetroffen ist, sagt
Irenäus nicht, ja er scheint es auszuschließen, weil er den
Bericht nicht mit Polykarps Marcioniten-Bekehrung
—————
ἀντιθέσεις im
emphatischen Sinn weder in der philosophischen noch in der
häretisch-christlichen Literatur außer bei M. findet. —
Tert. nennt adv. Marc. III, 8 die im Johannesbrief
bekämpften
Häretiker „praecoci et abortivi Marcionitae“.
¹
Die Basilidianer rühmten sich, daß ihr Stifter den Glaukias,
„den Hermeneuten des Petrus“, zum Lehrer gehabt habe, die
Valentinianer, daß Valentin ein Hörer des Theodas, „des
Schülers des Paulus“, gewesen sei (Clemens, Strom. VII, 17, 106
f.); allein selbst wenn man die Zuverlässigkeit dieser
Überlieferungen annimmt, sind sie für uns nahezu wertlos, da
wir weder von Glaukias noch von Theodas etwas wissen.
² Ὃς (scil. Πολύκαρπος) καὶ ἐπὶ Ἀνικήτου
ἐπιδημήσας τῇ Ῥώμῃ πολλοὺς
ἀπὸ τῶν προειρημένων αἱρετικῶν ἐπέστρεψεν εἰς τὴν ἐκκλησίαν τοῦ θεοῦ.
³
Καὶ αὐτὸς δὲ ὁ Πολύκαρπος Μαρκίωνί ποτε εἰς ὄψιν αὐτῷ ἐλθόντι καὶ
φήσαντι˙ Ἐπιγίνωσκε ἡμᾶς, ἀπεκρίθη˙ Ἐπιγινώσκω ἐπιγινώσκω σε τὸν
πρωτότοκον τοῦ Σατανᾶ. Der Originaltext ist von Euseb. (IV, 14, 7,
Nicephorus und dem Chron. pasch.) und dem Martyr. Polyc. (Recens.
Mosq.) bezeugt. Ἐπιγίνωσκε Codd. Euseb. BDM, Euseb. Syr., Rufin, Mart.
Pol., Hieron. (de vir. ill. 17) > ἐπιγινώσκεις Codd. Euseb. ATER,
Iren. Lat., Chron. pasch. — σε Iren. Lat., Euseb. Syr., Chron.
pasch. — Die Einleitung im Mart. Pol. Mosq. lautet: Συναντήσαντός ποτε
τῷ ἁγίῳ Πολυκάρπῳ Μαρκίωνος, ἀφ’ οὗ οἱ λεγόμενοι Μαρκιωνισταί, καὶ
εἰπόντος κτλ.
S. Chronologie I S. 341—356; Z a h n,
Forschungen VI S. 94 f. —
Anicet war wahrscheinlich der erste monarchische römische Bischof
in strengem Sinn; er hat 11 Jahre regiert. 154 (155)—165 (166); s.
Chronologie I
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Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
in
Rom verbindet ¹. Die
Begegnung wird also schon früher und in Asien stattgefunden haben.
Wie die Worte lauten ², setzen sie voraus, daß schon
früher Beziehungen zwischen beiden Männern stattgefunden
haben und daß M. noch hoffte, die Anerkennung des
maßgebenden kleinasiatischen Bischofs erlangen zu können
³.
Die Nachricht über Polykarps
antimarcionitisches Wirken in Rom kann Irenäus nur aus der
Überlieferung der römischen Gemeinde bezogen haben, von der
er auch sonst die wertvollsten Mitteilungen erhalten hat. Woher er den
Bericht über die persönliche Begegnung M.s mit Polykarp
geschöpft hat, wissen wir nicht. Sie gehört vermutlich zu den
kleinasiatischen Presbyter-Überlieferungen; vielleicht stammt sie
von Papias .
—————
S. 158, 200 f.
Daß Polykarp i. J. 154 nach Rom gereist ist, ist nicht
gewiß; denn die Berechnung der Dauer des Episkopats Anicets ist
zwar sehr alt, aber wohl nachträglich gemacht.
¹
Auch Hieronymus sagt nicht, daß Polykarp mit M. in Rom
zusammengetroffen sei (gegen H a r v e y
u. a.); sein Zeugnis wäre übrigens wertlos.
²
Der Wechsel von ἡμᾶς und σέ ist vielleicht beachtenswert: M.
wünscht die Anerkennung seiner Sekte, Polykarp verdammt in seiner
Antwort den M. persönlich.
³
Nach ihren ursprünglichen Grundsätzen war es den Kirchen sehr
schwer, Bekennern des Herrn Christus die brüderliche Gemeinschaft
zu versagen. Es war daher einer der folgenschwersten Schritte in ihrer
Entwicklung, als sie sich zu Exkommunikationen Christusgläubiger
entschlossen (s. u.). — Die beißende Ironie in der Antwort
Polykarps ist der in seiner Verhandlung vor dem Richter ähnlich.
Der Richter sagt (Mart. Polyc. 9): „Sprich die Worte αἶρε τοὺς ἀθέους,
Polykarp seufzt, blickt zum Himmel und spricht: αἶρε τοὺς ἀθέους, aber
im entgegengesetzten Sinn.
Mit Unrecht hat man in Polykarps Brief an
die Gemeinde zu Philippi (c. 6 f.) eine Beziehung auf Marcion gefunden
und deshalb den Brief entweder für unecht oder für
interpoliert erklärt, da M. kein Häretiker der Zeit
Trajans sein kann. Die Worte lauten: .... ἀπεχόμενοι σκανδάλων
καὶ τῶν ψευδαδέλφων καὶ τῶν ἐν ὑποκρίσει φερόντων τὸ ὄνομα τοῦ κυρίου,
οἵτινες ἀποπλανῶσι κενοὺς ἀνθρώπους. πᾶς γὰρ ὃς ἂν μὴ ὁμολογῇ Ἰησοῦν
Χριστὸν ἐν σαρκὶ ἐληλυθέναι, ἀντίχριστός ἐστιν˙ καὶ ὃς ἂν μὴ ὁμολογῇ τὸ
μαρτύριον τοῦ σταυροῦ, ἐκ τοῦ διαβόλου ἐστιν˙ καὶ ὃς ἂν μεθοδεύῃ τὰ
λόγια τοῦ κυρίου πρὸς τὰς ἰδίας ἐπιθυμίας καὶ λέγῃ μήτε ἀνάστασιν μήτε
κρίσιν εἶναι, οὗτος πρωτότοκός ἐστι τοῦ σατανᾶ. διὸ ἀπολιπόντες τὴν
ματαιότητα τῶν πολλῶν καὶ τὰς ψευδοδιδασκαλίας ἐπὶ τὸν ἐξ ἀρχῆς ἡμῖν
παραδοθέντα λόγον ἐπιστρέψωμεν. Die Bezugnahme auf M. ist deshalb
unwahrscheinlich, weil Polykarp hier Häretiker überhaupt,
nicht
6*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
2. D a s Z e u g n i s J u s t i n
s.
In seiner nicht vor d. J. 150, aber sehr bald
nachher — also ungefähr um die Zeit des Aufenthalts Polykarps in
Rom — ebendort verfaßten Apologie ¹ hat Justin an zwei in
ihrem Aufbau parallelen Stellen sehr wichtige Mitteilungen über
M. gemacht. Nachdem er von dem verderblichen Wirken der bösen
Dämonen im Heidentum gesprochen, fährt er fort (Apol. I. 26)
²:
Μετὰ τὴν ἀνέλευσιν τοῦ Χριστοῦ ³ εἰς
οὐρανὸν προεβάλλοντο οἱ δαίμονες ἀνθρώπους τινὰς λέγοντας. ἑαυτοὺς
εἶναι θεούς, οἳ οὐ μόνον οὐκ ἐδιώχθησαν ὑφ’ ὑμῶν, ἀλλὰ καὶ τιμῶν
κατηξιώθησαν . Σ ί μ ω ν α μήν τινα Σαμαρέα ..., Μ
έ ν α ν δ ρ ο ν δέ τινα καὶ αὐτὸν
Σαμαρέα ..., Μ α ρ κ ί ω ν α δέ τινα
Ποντικόν, ὃς κ α ὶ ν ῦ ν ἔτι ἐστὶ
διδάσκων τοὺς πειθομένους ἄλλον τινὰ νομίζειν μείζονα τοῦ δημιουργοῦ
θεόν˙ ὃς κατὰ πᾶν γένος ἀνθρώπων διὰ τῆς
τῶν δαιμόνων συλλήψεως πολλοὺς πεποίηκε 6
—————
aber eine
bestimmte Gruppe im Auge hat, weil ferner der Doketismus und die
Leugnung der Realität des Kreuzestodes, des Gerichts und der
Auferstehung (des Fleisches) nicht spezifisch marcionitische Lehren
sind — es fehlen die hauptlehren M.s von den beiden Göttern
und von der Verwerflichkeit des AT.s — und weil der Ausdruck πρωτότοκος
τοῦ σατανᾶ (auf welchem der Beweis hauptsächlich auferbaut wird)
hier keine spezifische Bedeutung hat, sondern nur ein Synonymum zu
ἀντίχριστος und ἐκ τοῦ διαβόλου ist. Dazu kommt, daß der Ausdruck
μεθοδεύῃ κτλ. M.s eigentümliche kritische Behandlung des
Evangeliums nicht trifft; Polykarp scheint vielmehr solche
Häretiker im Auge zu haben, welche aus sittlicher Laxheit die
Herrnworte so arglistig auslegen, daß sie die Auferstehung und
das Gericht eskamotieren. Man muß daher annehmen, daß
Polykarp den Ausdruck πρωτότοκος τοῦ σατανᾶ öfters, aber nicht
ausschließlich von M. gebraucht hat.
¹
Vgl. Chronologie I S. 274 ff.; Z a h n,
Forschungen VI S. 8 ff. 364. Die Festlegung der ägyptischen
Amtszeit des Präfekten L. Munatius Felix auf Grund zweier Papyri
(Apol. I, 29; s. Papyr. Mus. Brit. nr. 358, dazu K e n y o
n, Academy 1896 p. 98, ferner
The Oxyrhynchus Papyri, Part II nr. 237 p. 141 ff.) hat die
Feststellung des Datums der Apologie bestätigt, bez. in noch
engeren Grenzen bestimmt.
²
Auch bei Euseb., h. e. II, 13, 3 und IV, 11, 9, 10.
Eusebius hat (l. c. c. 8) den Schein nicht vermieden, als schöpfte
er aus einer Schrift Justins gegen M., von der er durch
Irenäus wußte: ὁ Ἰουστῖνος γράψας κατὰ Μαρκίωνος σύγγραμμα
μνημονεύει ὡς καθ’ ὃν συνέταττε καιρὸν γνωριζομένου τῷ βίῳ τἀνδρός,
φησὶν δὲ οὕτως.
³
ἀνάληψιν τοῦ κυρίου Euseb.
ἠξιώθησαν Euseb.
ὃς καὶ Euseb.
6 πέπεικε Euseb.
7*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
βλασφημίας
¹ λέγειν καὶ
ἀρνεῖσθαι τὸν ποιητὴν τοῦδε τοῦ παντός ², ἄλλον δέ τινα, ὡς ὄντα
μείζονα, τὰ μείζονα ³ παρὰ τοῦτον ὁμολογεῖν πεποιηκέναι . καὶ
πάντες οἱ ἀπὸ τούτων ὁρμώμενοι Χριστιανοὶ καλοῦνται, ὃν τρόπον καὶ οὐ
κοινῶν ὄντων δογμάτων τοῖς φιλοσόφοις τὸ ἐπικαλούμενον 6
ὄνομα τῆς φιλοσοφίας κοινόν ἐστιν ... ἔστι
δὲ ἡμῖν καὶ σύνταγμα κατὰ πασῶν τῶν γεγενημένων αἱρέσεων συντεταγμένον
,
ᾧ εἰ βούλεσθε ἐντυχεῖν, δώσομεν.
Dasselbe wiederholt er Apol. I, 58. Nachdem auch hier Simon Magus und
Menander vorher erwähnt und charakterisiert waren, fährt er
fort:
Καὶ
Μαρκίωνα δὲ τὸν ἀπὸ Πόντου, ὡς προέφημεν, προεβάλλοντο οἱ φαῦλοι
δαίμονες, ὃς ἀρνεῖσθαι μὲν τὸν ποιητὴν τῶν οὐρανίων καὶ γηΐων ἁπάντων
θεὸν καὶ τὸν προκηρυχθέντα διὰ τῶν προφητῶν Χριστὸν υἱὸν
αὐτοῦ κ α ὶ ν ῦ ν διδάσκει, ἄλλον δέ
τινα
καταγγέλλει παρὰ τὸν δημιουργὸν τῶν 9
πάντων
θεὸν καὶ ὁμοίως ἕτερον υἱόν˙ ᾧ πολλοὶ πεισθέντες, ὡς μόνῳ τἀληθῆ
ἐπισταμένῳ, ἡμῶν καταγελῶσιν, ἀπόδειξιν μηδεμίαν περὶ ὧν λέγουσιν
ἔχοντες, ἀλλὰ ἀλόγως ὡς ὑπὸ λύκου ἄρνες συνηρπασμένοι βορὰ τῶν ἀθέων
δογμάτων καὶ δαιμόνων γίνονται.
Die
Zusammenstellung M.s mit den Sektenstiftern, die sich für
Götter ausgegeben haben, ist ganz unzutreffend und besonders
gehässig; sie zeigt aber, wie gefährlich M. dem Justin
erschienen ist, wie fremd ihm sein Christentum war und wie hoch das
Ansehen M.s in seiner Kirche gewesen ist. Wir erfahren hier
weiter, daß der aus dem Pontus stammende Häretiker noch
jetzt lebt und tätig ist, aber schon eine längere Wirksamkeit
hinter sich hat, die sich über weite Gebiete beider
Reichshälften erstreckt (διὰ πᾶν γένος ἀνθρώπων) und durch die er
bereits v i e l e gewonnen hat.
Seine Häresie ist die blasphemia creatoris und
—————
¹ βλάσφημα Euseb.
²
Nach παντός bietet der Justin-Kodex θέον, Euseb. πατέρα εἶναι τοῦ
Χριστοῦ, beides wohl Glossen (s. S c h w a r t z’
Ausgabe).
³
τ μείζονα fehlt bei Euseb. und S c h w a r t z.
fehlt bei Euseb. Syr. und Lat.
fehlt im Justin-Kodex.
6
καὶ οἱ οὐ κοινωνοῦντες τῶν αὐτῶν δογμάτων ... ἐπικατηγορούμενον
Justin-Kodex.
ἐστιν Euseb., ἔχουσιν Justin-Kodex.
συντεταγμένον Justin-Kodex, Euseb. Lat., fehlt bei Euseb. Graec. u.
Syr.
9 τὸν πάντων Cod.
8*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
daher
die Substituierung eines
„anderen“ Gottes und eines „anderen“ Sohnes an Stelle des
Weltschöpfers und seines Christus sowie die Verwerfung des A. T.s.
Als wahrscheinlich darf man annehmen, daß diese Charakterisierung
aus den „Antithesen“ M.s geflossen ist, daß diese also samt
dem „Instrumentum“ M.s (Evangelium und zehn Paulusbriefe) damals
schon vorhanden waren ¹. Die Wirksamkeit M.s muß schon
eine längere Reihe von Jahren gedauert und die aller anderen
Sektenstifter übertroffen haben. Letzteres geht daraus hervor,
daß Justin den Kaisern neben den alten angeblichen
Begründern der Häresie, Simon und Menander, nur M. mit
Namen nennt, alle übrigen Sekten aber nur summarisch, ohne ihre
Namen zu nennen, zusammenfaßt. So erscheint neben der allgemeinen
Christenheit, für die Justin als Anwalt vor den Kaisern und dem
Senat auftritt, als die Afterchristenheit der Gegenwart nur die
marcionitische. Nicht übersehen darf man, daß in Justins
kurzer Charakteristik indirekt sowohl das exklusive Vertrauen der
Marcioniten zu ihrem Stifter hervortritt — „er allein kennt die
religiöse Wahrheit“ —, als auch ihr Verzicht darauf, diese
Wahrheit in der Weise der großen Kirche zu begründen
(Verzicht auf die „apostolische“ Tradition, Verzicht auf den
Altersbeweis; daher „ἀπόδειξιν μηδεμίαν περὶ ὧν λέγουσιν ἔχοντες“ und
„ἀλόγως“), ferner auch ihre Verachtung dessen, was die große
Christenheit für Christentum hält („καταγελῶσιν“).
In
seiner apologetischen Naivetät glaubt Justin, seine Adressaten
würden sich für seine Mitteilungen über die bösen
Häresien interessieren. In diesem Sinne sucht er den
philosophischen Kaiser gegen die alogische und beweislose Lehre
M.s von vornherein einzunehmen und verweist zugleich auf ein
früheres Werk („Syntagma“), in welchem er alle Häresien
bereits charakterisiert und widerlegt habe.
Dieses
Werk, welches gewiß auch der doppelten Charakteristik M.s in
der Apologie zu Grunde liegt, ist fast spurlos verloren gegangen,
vermutlich weil es die späteren Ketzerbestreitungen verdrängt
haben ². Nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit läßt
sich einiges über Anlage und Inhalt des Werkes
—————
¹ Eine universale Wirksamkeit
M.s ohne die Unterlage dieser
Werke ist nicht leicht denkbar.
² Tertullian hat es gekannt, s. adv. Valent. 5.
9*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
ermitteln
¹. Da es
spätestens ins 5. Jahrzehnt des 2. Jahrhunderts fällt, ist
schon sein bloßes Erscheinen ein Beweis dafür, wie
mächtig die häretische Bewegung bereits in der ersten
Hälfte der Regierungszeit des Antoninus Pius war. Wenn Justin in
dem nicht lange nach der Apologie verfaßten Dialog mit Trypho (c.
35) die Reihenfolge „Marcianer, Valentinianer, Basilidianer,
Satornilianer“ bietet und Hegesipp, sein jüngerer Zeitgenosse und
vermutlich Landsmann (bei Euseb., h. e. IV, 22, 4
ff), die Reihenfolge „Simon ... Menandrianer, Marcianisten,
Karpokratianer, Valentinianer, Basilidianer, Sartornilianer“ ², so
ist es wahrscheinlich, daß diese, sehr bald durch eine andere Suk-
—————
¹ S. H a r n a c k, Zur
Quellenkritik der Geschichte
des Gnostizismus 1873 und die Fortsetzung dieser Abhandlung in der
Zeitschr. f. d. hist. Theol. 1874.
² Dial. 35: Ἄλλοι κατ’ ἄλλον
τρόπον βλασφημεῖν τὸν ποιητὴν τῶν ὅλων καὶ τὸν ὑπ’ αὐτοῦ προφητευόμενον
ἐλεύσεσθαι Χριστὸν καὶ τὸν θεὸν Ἁβραάμ ... διδάσκουσιν˙ ὧν οὐδενὶ
κοινωνοῦμεν, οἱ γνωρίζοντες ἀθέους καὶ ἀσεβεῖς καὶ ἀδίκους καὶ ἀνόμους
αὐτοὺς ὑπάρχοντας καὶ ἀντὶ τοῦ τὸν Ἰησοῦν σέβειν ὀνόματι μόνον
ὁμολογοῦντας (Cod. ὁμολογεῖν). καὶ Χριστιανοὺς ἑαυτοὺς λέγουσιν ὃν
τρόπον οἱ ἐν τοῖς ἔθνεσι τὸ ὄνομα τοῦ θεοῦ επιγράφουσι τοῖς
χειροποιήτοις καὶ ἀνόμοις καὶ ἀθέοις τελεταῖς κοινωνοῦσι. καί εἰσιν
αὐτῶν οἱ μέν τινες καλούμενοι Μαρκιανοί, οἱ δὲ Οὐαλεντιανοί, οἱ δὲ
Βασιλιδιανοί, οἱ δὲ Σατορνιλιανοὶ καὶ ἄλλοι ἄλλῳ ὀνόματι, ἀπὸ τοῦ
ἀρχηγέτου τῆς γνώμης ἕκαστος ὀνομαζόμενος. Die Μαρκιανοί sind
höchstwahrscheinlich Marcioniten; denn bei Hegesipp, der von
Justin nicht unabhängig sein wird, liest man l. c. Μαρκιανισται.
Daß aber diese (die Codd. TcERB, Euseb. Lat., Euseb. Syr.
Μαρκιωνισται) Marcioniten sind, ergibt sich aus Euseb. V, 16, 21: οἱ
ἀπὸ Μαρκίωνος αἱρέσεως Μαρκιανισταί (so S c h w a r t z
mit AT¹D). Korrekt
ist Μαρκιανισταί für die Messalianer
(Euchiten), genannt nach dem Wechsler Marcianus; s. A n r i
c h, Hagios
Nikolaos I S. 425; II S. 340 f. Die Marcianisten im Theodos. Codex XVI,
5, 65 (Gesetz v. 30. Mai 428 = Justinian. I, 5, 5) zwischen Phrygern
und Borborianern sind wohl Anhänger des Gnostikers Marcus. Aber
auch Marcions Anhänger konnten „Marcianisten“ und „Marcianer“
heißen, da „Marcion“ lediglich eine Nebenform zu „Marcus“ ist;
diese Nebenform ist nicht häufig; doch s. den christkatholischen
Bruder „Marcion“ im Mart. Polyc. 20 und die Inschrift auf der Basis
Capitolina (s. unten). — Justin, Dial. 80 bezieht sich
mindestens a u c h auf die Marcioniten: ἄθεοι καὶ
ἀσεβεῖς αἱρεσιῶται, die da den Gott Abrahams verlästern, κατὰ
πάντα βλασφημα καὶ ἄθεα καὶ ἀνόητα διδάσκουσιν καὶ λέγουσιν μὴ εἶναι
νεκρῶν ἀνάστασιν, ἀλλ’ ἅμα τῷ ἀποθνήσκειν τὰς ψυχὰς αὐτῶν
ἀναλαμβάνεσθαι εἰς τὸν οὐρανόν.
10*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
zession
verdrängte
Reihenfolge (s. Irenäus und Hippolyt) die des Justinischen
Syntagmas gewesen ist. Man darf aus ihr schließen, daß die
marcionitische Bewegung älter war als die der nach ihr
angeführten Sektenstifter (s. dazu unten bei Clemens Alex.).
Von
dem Justinischen Syntagma hören wir noch zweimal etwas,
nämlich bei Irenäus. Zwar zitiert er Justin mit den Worten:
ἐν τῷ πρὸς Μαρκίωνα συντάγματι; allein da Justin in der Apologie nur
Marcion neben Simon und Menander mit Namen nennt und die übrigen
Häresien in Bausch und Bogen folgen läßt, so ist es
wahrscheinlich, daß auch das Syntagma gegen alle Häresien
hauptsächlich gegen M. gerichtet war und daher auch so
bezeichnet werden konnte; jedoch muß die Möglichkeit offen
bleiben, daß es sich um zwei Werke handelt. An der ersten von
Irenäus zitierten Stelle (IV, 6, 2; griechisch bei Euseb.,
h. e. IV, 18, 9) erklärt Justin, daß er dem
Herrn selbst nicht Glauben schenken würde, wenn er einen anderen
Gott als den Weltschöpfer verkündigt hätte ¹, und
an der zweiten (V, 26, 2, griechisch bei Euseb., h.
e. IV, 18, 9; s. auch C r a m e r,
Cat. in epp. cath. p. 81) — die Fundstelle bei Justin ist hier nicht
angegeben, ergibt sich aber aus dem vorigen Zitat — spricht er
über das Verhalten des Satan vor und nach der Erscheinung des
Herrn ².
—————
¹ Καὶ καλῶς Ἰουστῖνος ἐν τῷ πρὸς Μαρκίωνα συντάγματι φησίν˙ ὅτι
αὐτῷ (καὶ αὐτῷ Iren. Lat.) τῷ κυρίῳ οὐδ’ ἂν ἐπείσθην, ἂλλον θεὸν
καταγγέλλοντι παρὰ τὸν δημιουργόν. Die Identität mit dem Syntagma
gegen alle Häresien ist auch deshalb wahrscheinlich, weil
Irenäus fortfährt: „Hic autem est fabricator coeliet terrae,
quamadmodum ex sermonibus eius ostenditur, et non is, qui a Marcione
vel a Valentino, aut a Basilide aut a Carpocrate aut Simone aut
reliquis falso cognominatis Gnosticis adinventus est falsus pater“ Hier
sind die Häresien nahezu in derselben Reihenfolge genannt, deren
Bekämpfung durch Justin im Syntagma nach Dial. 35 u. Hegesipp.
(l. c.) feststeht.
²
Καγῶς ὁ Ἰουστῖνος ἔφη, ὅτι πρὸ μὲν τῆς τοῦ κυρίου παρουσίας οὐδέποτε
ἐτόλμησεν ὁ Σατανᾶς βλασφημῆσαι τὸν θεόν, ἅτε μηδέπω εἰδὼς αὑτοῦ τὴν
κατάκρισιν (hier bricht Euseb. ab) διὰ τὸ ἐν παραβολαῖς καὶ
ἀλληγορίαις κεῖσθαι˙ μετὰ δὲ τὴν παρουσίαν τοῦ κυρίου ἐκ τῶν
λόγων Χριστοῦ καὶ τῶν ἀποστόλων αὐτοῦ μαθὼν ἀναφανδὸν ὅτι πῦρ αἰώνιον
αὐτῷ ἡτοίμασται ... βλασφημεῖ τὸν τὴν κρίσιν ἐπάγοντα κύριον ὡς ἤδη
κατακεκριμένος καὶ τὴν ἁμαρτίαν τῆς ἰδίας ἀποστασίας τῷ ἐκτικότι αὐτὸν
ἀποκαλεῖ κτλ. Der Mund, durch den der Satan seine Blasphemien
ausstößt, ist Marcion.
11*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
3. D a
s Z e u g n i s d e s P a p i a s.
Justin
bezeugt, daß M. aus dem Pontus stammte, und von ihm und
Polykarp erfahren wir, daß er schon um das Jahr 150 auf der
Höhe seiner universalen Wirksamkeit gestanden hat. Eine versteckte
weitere Nachricht bringt uns noch ihr Zeitgenosse der Bischof Papias
von Hierapolis.
Prologus in Ev. Ioh. ex Codice Toletano (T), Reginae Suetiae (S) et
Stuttgartiensi (Stutt.); s. W o r d s w o r t h - W h i t
e,
Novum Testamentum domini nostri Iesu Christi Latine, Part. I Fasc. IV
p. 490 f ¹:
T: „Hoc
igitur evangelium post apocalipsin scribtum manifestum et datum est
ecclesiis in Asia a Iohanne adhuc in corpore constituto, sicut Papias
nomine Iheropolitanus episcopus discipulus Iohannis et carus in
exotericis suis, id est in extremis quinque libris, retulit, qui hoc
evangelium Iohanne subdictante conscribsit. Verum Archinon [sic]
hereticus, quum ab eo fuisset reprobatus eo quod contraria sentiset
[sic], prelectus [sic] est a Iohanne; hic vero scribtum vel epistulas
ad eum pertulerat a fratribus missus qui in Ponto erant fideles in
domino nostro.“
S:
„Evangelium Iohannis manifestatum et datum [Stutt. om. „et datum“] est
ecclesis ab Iohanne adhuc in corpore constituto, sicut Papias nomine
Hierapolitanus, discipulus Iohannis carus, in exotericis, id est in
extremis quinque libris, retulit; descripsit vero evangelium dictante
Iohanne recte. verum Martion [Stutt. „Marcion“] haereticus, cum ab eo
fuisset [Stutt. „esset“] improbatus eo quod contraria sentiebat,
abiectus est a Iohanne. is vero scripta vel epistolas ad eum pertulerat
a fratribus qui in Ponto fuerurnt.“
Über die erste Hälfte dieses aus dem Griechischen
übersetzten und durch mehrere Hände gegangenen Stücks
ist seit O v e r b e c k s verfehltem
Erklärungsversuch viel verhandelt worden von L i g h t
f o o t, Z a h n, H a r n a c k‚ C o r s s e
n
usw. und jüngst noch von C l e m e n
(Entstehung des Joh. Ev.,
—————
¹ S. D e B r u y n e (Rev.
Bénéd. 1921 Okt. p. 14 f.) bemerkt, daß dieser
sehr alte Prolog von dem Autor des Markus- („Marcus adseruit qui
colobodactylus“) und Lukas-Prologs („Est quidem Lucas Antiochensis“)
stammt. Man findet öfters alle drei oder zwei in denselben Mss.;
z. B. alle drei im Tolet., den Markus- und Joh.-Prolog im Cod.
Barberin. 637 (saec. VIII), Monac. 6212 u. Stuttgart.
12*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
1912,
S. 375) und B a c o n (Journ. of Bibl.
Lit. XXXII, 1913, Part. III p. 194 ff.) Entgegen der aus Joh. 21,
23.24 gefolgerten Meinung, das Ev. sei nach dem Tode des Johannes von
anderen herausgegeben worden, sagt Papias an einer Stelle seiner
fünf Bücher „Exegetica” (so ist natürlich für
„Exoterica“ zu lesen) oder im 5. Buch derselben ¹, daß
Johannes selbst ² sein Evangelium den Kirchen in Asien, nach der
Apokalypse, gegeben habe. Daß Papias wirklich so geschrieben hat,
braucht nicht bezweifelt zu werden ³. Der folgende Satz darf nicht
korrigiert werden, da er durch die C o r d e r sche
Katene (Cat. Graec. PP. in St. Joh., Antwerp. 1630) geschützt ist:
κατ’ ἐκεῖνο καιροῦ αἱρέσεων ἀναφυεισῶν δεινῶν ὑπηγόρευσε (scil.
Johannes) τὸ εὐαγγέλιον τῷ ἑαυτοῦμαθητῇ Παπίᾳ. Bei Papias kann es nicht
gestanden haben; denn das hätte Eusebius nicht verschweigen
können. Der Verfasser des Prologs muß ihn aus einer anderen
Quelle haben. Daß die folgende Angabe über Marcion auf eine
alte Quelle zurückgeht, zeigt ihr unerfindbarer Inhalt. Aber der,
welcher Marcion abgewiesen hat, ist nicht Johannes gewesen, sondern
höchstwahrscheinlich der vorher genannte Papias („a Johanne” ist
zu tilgen; es müßte ja schon vorher statt „ab eo” vielmehr
„a
Johanne” heißen). Es sind uns hier vier wichtige Nachrichten
mitgeteilt: (1) daß M. aus dem Pontus
—————
¹ Nachdem „Exegetica” zu „Exoterica” (vgl. die λόγοι ἐξωτερικοί
des Aristoteles; zu „Exegetica” s. die Ἐξηγητικά des Basilides bei
Clem., Strom. IV, 83 und die Aufschrift zum Joh.-Komm. des Origenes
im Cod. Reg. Ὠριγένους τῶν εἰς τὸ κατὰ Ἰωάννην εὐαγγέλιον Ἐξηγητικῶν
τόμοι λβ´) geworden waren wurden diese von einem Abschreiben durch
„Extrema” erläutert. Es kann aber auch ursprünglich „in
extremo quinto libro“ geheißen haben. Die Änderungen
können schon im Griechischen vor sich gegangen sein.
²
Zum Ausdruck „adhuc in corpore constituto” s. Orig., in Matth. ser.
138 (Comm. V. p. 167): ἔτι ἐν σώματι καθεστῶτος.
³ Freilich gibt es noch eine andere Möglichkeit: der Ausdruck
„a Johanne adhuc in corpore constituto” ist sehr auffallend. Wie, wenn
der griechische Text gelautet hat: Τὸ τοῦ Ἰωάννου εὐαγγέλιον ... ἐδόθη
ταῖς ἐκκλησίαις ταῖς ἐν τῇ Ἀσίᾳ ὑπὸ Ἰωάννου (τοῦ πρεσβυτέρον, τοῦ
ἀποστόλου Ἰωάννου ἔτι ἐν σώματι καθεστῶτος, ὡς ὁ Παπίας ὀνόματι
Ἱεραπολίτης ὁ τοῦ Ἰωάννου μαθητὴς ἀγαπητός, ἐν ταῖς τῶν Ἐξηγητικῶν
αὐτοῦ πέντε βίβλοις ἀπήγγειλεν? Ich habe früher diese Hypothese
bevorzugt und halte sie auch jetzt noch für möglich, aber
natürlich für unbeweisbar.
13*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
nach
Kleinasien kam, (2)
daß er Schriftstücke („vel epistolas” ist wohl interpoliert)
im Auftrag pontischer Christen an eine maßgebende Instanz in
Asien, wahrscheinlich an Papias, gebracht hat, (3) daß er, nach
dem Urteil dieser Instanz, „contraria sentiebat”, (4) daß seine
Lehre keine Billigung fand, er vielmehr als Irrlehrer verworfen wurde.
Die
Vertauschung von Papias und Johannes in dem
Prolog findet sich auch bei Filastrius. Er schreibt (haer. 45):
„(Marcion) devictus atque fugatus a beato Iohanne evangelista et a
presbyteris de civitate Efesi Romae hanc haeresim seminabat” ¹.
Der Glaubwürdigkeit der Nachrichten, die wohl die ältesten
sind, die wir über M. besitzen, steht m. E. nichts im Wege.
Dann aber ergibt sich, daß M., schon seine Sonderlehre
hegend, den Pontus verlassen ² und sich, Anerkennung suchend, nach
Asien gewendet hat. Über „die Brüder”, die ihn gesandt haben
und die ihm ein Schriftstück mitgegeben haben, läßt
sich nur vermuten, daß es Gesinnungsgenossen waren, die ihn
empfahlen ³. An eine Exkommunikation im späteren Sinn des
Worts in seiner heimatlichen Kirche darf überhaupt nicht gedacht
werden, sondern an eine Ausweisung aus der Gemeinde: für sie war
er tot .
M. ist aus dem Pontus nach Asien gegangen;
(„Ephesus” darf man nicht festhalten, wenn man „Johannes” streicht;
aber es ist natürlich so wenig ausgeschlossen wie Smyrna); es war
—————
¹
Manches von dem, was im nachapostolischen Zeitalter in Kleinasien
geschehen ist, wurde später einfach dem „Johannes” beigelegt. Man
braucht nur an die schlagende Parallele zu erinnern, daß
Tert. in de bapt. 17 erzählt, der Verf. der falschen
Paulusakten sei in Kleinasien entlarvt worden und Hieronymus diese
Nachricht aus Tert. mit der Hinzufügung wiedergibt:
„(convictus)
a p u d J o h a n n e m” (de vir. ill.
7), sich um die 100 Jahre die dazwischen
liegen, nicht kümmernd.
²
Der Pontus als Heimat M.s ist,
außer durch Justin, auch durch Irenäus, Rhodon, Tertullian,
Clemens und Hippolyt bezeugt.
³
Die Worte im Cod. T „fideles in domino
nostro” müssen als ein irriger Zusatz beurteilt werden.
Anders liegt der Fall I
Clem. 54 (an die
Führer der Unruhen in Korinth): Τίς οὖν ἐν ὑμῖν γενναῖος; τίς
εὔσπλαγχνος; τίς πεπληροφορημένος ἀγάπης; εἰπάτω˙ εἰ δι’ ἐμὲ στάσις
καὶ ἔρις καὶ σχίσματα, ἐκχωσῶ, ἄπειμι οὗ ἐὰν βούλησθε, καὶ ποιῶ τὰ
προστασσόμενα ὑπὸ τοῦ πλήθους, μόνον τὸ ποίμνιον τοῦ Χριστοῦ εἰρηνευέτω
μετὰ τῶν καθεσταμένων πρεσβυτέρων.
14*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
bereits
eine Propaganda-Reise;
aber sie endete mit einem zweiten Mißerfolg. Damals wird sich die
Begegnung mit Polykarp (s. o.) zugetragen haben. Die Reise muß
noch in die Zeit Hadrians fallen; denn ein Jahrzehnt propagandistischer
Wirksamkeit reicht schwerlich aus, um den Erfolg zu erklären, der
durch Justin für die Zeit um das Jahr 130 feststeht ¹.
4. D a s
Z e u g n i s d e s C l e m e n s A
l e x a n d r i n u s
Strom.
VII. 17, 106 f: Κάτω περὶ τοὺς Ἀδριανοῦ τοῦ βασιλέως χρόνους οἱ τὰς
αἱρέσεις ἐπινοήσαντες γεγόνασι καὶ μέχρι γε τῆς Ἀντωνίνου τοῦ
πρεσβυτέρου διέτειναν ἡλικίας, καθάπερ ὁ Βασιλείδης, κἂν Γλαυκίαν
ἐπιγράφηται διδάσκαλον, ὡς αὐχοῦσιν αῦτοί, τὸν Πέτρου ἑρμηνέα. ὡσαύτως
δὲ
καὶ Οὐαλεντῖνον Θεοδᾶ διακηκοέναι φέρουσιν˙ γνώριμος δ’ οὗτος γεγόνει
Παύλου. Μαρκίων γὰρ κατὰ τὴν αὐτὴν αὐτοῖς ἡλικίαν γενόμενος ὡς
πρεσβύτης νεωτέροις συνεγένετο.
Die
Stelle steht in dem Zusammenhang des Nachweises, daß,
während die Zeit Jesu und der Apostel bis Tiberius, bzw. bis
Nero reicht, die großen Häretiker viel später sind.
Werden sie von Clemens doch schon auf die Zeit Hadrians datiert, so
darf man sicher sein, daß dies nicht unrichtig ist; denn Clemens
hatte ein Interesse daran, sie möglichst weit vom apostolischen
Zeitalter zu entfernen. Wir haben hier also ein zuverlässiges
Zeugnis,
daß M. schon unter Hadrian aufgetreten ist. Aber die Stelle
sagt noch mehr, nämlich (1) daß M.s Wirksamkeit
(ebensowie die des Basilides und Valentin) sich nicht bis in das
Zeitalter M. Aurels erstreckt hat, (2) daß in der Gruppe
„Basilides, Valentin, Marcion“ der letztere wie ein alter (Lehrer) den
jüngeren (Schülern) gegenübersteht. ² Dies konnte
Clemens nur sagen, wenn
—————
¹
Die gleichzeitigen Zeugen sind durch Polykarp, Justin und Papias
erschöpft; denn auf den Valentinianer Ptolemäus darf man sich
nicht mit
Sicherheit berufen. Es ist nur möglich, daß er Marcioniten
gemeint
hat, wenn er (Ep. ad. Floram bei Epiph., haer. 31, 3—7) christliche
Lehrer bekämpft, die das Gesetz und die Weltschöpfung dem
Widersacher, dem verderbenstiftenden Teufel, zuschreiben, den sie auch
πατήρ und ποιητής nennen. Er bezeichnet das als eine ἀνυπόστατος σοφία
τῶν ψευδηγορούντων (c. 3, 2. 6) bez. τῶν ἀπρονοήτων ἀνθρώπων (c. 3, 7),
und meint, daß man so
etwas nicht einmal aussprechen dürfe (c. 5, 2). S. H a
r n a c k, Der
Brief des Ptolemäus an die Flora, Sitzungsberichte d. Preuß.
Akad. d. Wissensch. 1902, 8. 507 ff.
² So
sind die Ausdrücke „συνγίνεσθαι“ und „νεώτεροι“ zu verstehen. Man
braucht deshalb nicht anzunehmen, daß Basilides und Valentin per-
15*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
er etwas Genaueres
über M.s Leben wußte, den er übrigens (Strom. III,
4, 25) „ὁ Ποντικός” nennt. Wir müssen also annehmen, daß
M. schon im Zeitalter Hadrians ein gestandener Mann war und gegen
Ende der
Regierungszeit des Pius gestorben ist. Er wird ±85 geboren sein,
während die Geburt des Basilides und Valentin etwa 20 JJ.
später zu setzen ist.
5. D a s
Z e u g n i s d e s I r e n ä u s.
In
bezug auf die Lehre Ms. ist Irenäus für uns der
grundlegende
Zeuge; in bezug auf die Person ist er leider ziemlich stumm ¹. Er
bezeichnet ihn als „ὁ Ποντικός“ und als Diadoche des
Häretikers Cerdo (I, 27, 2; III, 4, 3); über diese Angabe s.
die Untersuchung unten: „Cerdo und Marcion“.
Das Zeitalter
—————
sönliche
Schüler M.s waren, sondern Clemens sieht wie die Apostel, so
die Sektenstifter
als eine i d e e l l e Einheit an,
und in dieser verhält sich M. zu den anderen wie
ein älterer Lehrer zu Jüngeren. Das γὰρ nach Μαρκίων verlangt
eine
ziemlich umständliche Paraphrase, etwa diese: Die Behauptung der
Basilidianer und Valentinianer, ihre Stifter reichten durch je ein
Mitglied bis zu den Aposteln herauf, ist belanglos, auch wenn sie
zutreffend ist; denn Marcion, der selbst nicht vor der Zeit Hadrians
aufgetreten ist, hat zu Basilides und Valentin im Verhältnis
eines älteren (Lehrers) zu jüngeren (Schülern)
gestanden; wie
sollen also Basilides und Valentin bis zum apostolischen Zeitalter
hinaufreichen? Übrigens scheint man doch folgern zu müssen,
daß
Clemens angenommen hat, Marcion habe durch seine Lehre den Basilides
und Valentin beeinflußt. Eine gewisse Verbindung zwischen
Valentin
und Marcion scheint auch aus dem dunklen Schluß des Muratorischen
Fragments hervorzugehen. Daß der MAliche Häreseologe Paulus
(de
haeres. libellus. O e h l e r,
Corp. Haereseol. I p. 316) Valentin „Marcionis discipulum“ nennt, kommt
natürlich nicht in Betracht: möglicherweise aber ist de carne
1 („Quasi non eadem licentia
haeretica et ipse [scil. Marcion] potuisset aut admissa carne
nativitatem
negare, ut Apelles discipulus et postea desertor ipsius, aut et carnem
et nativitatem confessus aliter illias interpretari, ut condiscipulus
et condesertor eius Valentinus“) so zu verstehen, daß Valentin
Schüler
M.s gewesen ist. Die grammatisch nächstliegende
Erklärung ist das gewiß („eius” auf Apelles zu beziehen);
aber die Nachricht ist so
singulär und wird auch nirgends sonst von Tert. selbst
bezeugt, daß es
wahrscheinlicher ist, „eius” auf M. zu beziehen und eine gewisse
Verwirrung, bez. Nachlässigkeit bei Tert. anzunehmen; er
wollte nur
sagen, daß Valentin wie M. ein Abtrünniger gewesen sei,
und ließ sich
in der Form der Aussage unbedacht durch die Worte leiten, die er
für Apelles gebraucht hatte.
¹
Doch
verdanken wir ihm die Anekdote über Polykarp und Marcion; s. o.
16*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
betreffend, bringt er die
Angabe (III, 4, 3): „Invaluit sub Aniceto”. Da die Zeit dieses Bischofs
(s. o.) ziemlich sicher ist (154 [155]—165 [166]), so
ergibt sich,
daß M. auf dem Höhepunkt seiner Wirksamkeit gestorben
ist; denn die Zeit M. Aurels ist für ihn ausgeschlossen. Man wird
also schwerlich fehlgehen, wenn man den Tod M.s auf d. J. ±160
ansetzt (s. o.) ¹.
Ohne Schuld hat Irenäus in bezug auf die Zeit M.s dadurch
Mißverständnisse hervorgerufen, daß er in III, 4 die
Häretiker nach der Zeit ihres Auftretens in Rom geordnet und
demgemäß auch im Häretikerkatalog Marcion fast ans Ende
gesetzt hat. Bestärkt wurde er in der Herabdrückung M.s
durch die Annahme, M. sei der Diadoche Cerdos und dieser stehe
parallel zu Valentin. Das ist augenscheinlich römische
Überlieferung (s. unter „Cerdo“),
die von der früheren Zeit
der Wirksamkeit M.s absah ².
6. D a s Z e u g n i
s
R h o d o n s.
Rhodon, Asiat von Herkunft und rechtgläubiger
Schüler Tatians in Rom, hat in einem Werke gegen Marcion (s.
Euseb., h. e. V. 13), verfaßt in der Endzeit
M. Aurels oder unter Commodus und durch genaue Kenntnis der Entwicklung
der Schule M.s ausgezeichnet, den Marcion „ὁ ναύτης” genannt.
Diese römische Tradition wird durch Tertullian beglaubigt (s.
dort).
7. D a s Z e u g n i
s
T e r t u l l i a n s.
Tertullian bestätigt die pontische Herkunft
M.s
— öfters kommt er auf sie zu sprechen und sucht M. auch von
hier aus (der Pontus galt als barbarisches Land. s. adv. Marc.
III, 6:
„Lex Rhodia .... lex Pontica”) zu diskreditieren, der schlimmer sei als
ein Skythe und Massaget —, seine Abhängigkeit von Cerdo
—————
¹ „Der Presbyter des
Irenäus” ist
der erste
Zeuge, der uns Ausführlicheres über die Lehre M.s bringt,
aber für
seine Person schweigt er.
² „Valentin kam nach Rom unter Hygin, hatte
seinen Höhepunkt unter Pius und blieb bis Anicet; Cerdo
aber, d e r v o r M a r c i o
n w a r, kam ebenfalls
unter Hygin in die (römische)
Kirche .... Marcion aber, sein Nachfolger, hatte
seinen Höhepunkt unter Anicet.“ Die Reihenfolge der
Häretiker, wie sie
Irenäus nach der Widerlegung des Valentinianers Ptolemäus und
der
übrigen Valentinianer im 1. Buch gegeben hat, lautet: Simon,
Menander, Satornil, Basilides, Karpokrates, Cerinth, Ebioniten,
Nikolaiten, Cerdo, Marcion, Enkratiten und Tatian, Gnostiker. Sie ist
keine chronologische, bez. die chronologische Betrachtung spielt nur
sekundär hinein.
17*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
(s. dort) und sein Gewerbe als
„nauta” oder „nauclerus”. Schon de
praescr. 30 bezeichnet er ihn so („Ponticus nauclerus”) und
spielt in
seinem Hauptwerk häufig darauf an. M. war nicht Matrose,
sondern Schiffsherr und zwar ein begüterter; als solcher kam er
nach
Rom ¹. Dies ergibt sich aus der Angabe Tert.s, M. habe
der
römischen Gemeinde ein Geschenk von 200 000 Sesterzien gemacht,
das
aber diese ihm nach dem Bruch zurückgegeben habe. Zweimal wird
dies
erwähnt, de praescr. 30: „Marcion cum ducentis sestertiis,
quae ecclesiae intulerat .... in perpetuum discidium relegatus”, und
adv. Marc. IV, 4: „Adeo antiquius Marcionis (evangelio) est
(evangelium), quod est secundum nos, ut et ipse illi Marcion aliquando
crediderit, cum et pecuniam in primo calore fidei catholicae ecclesiae
contulit, proiectam m o x cum
ipso, posteaquam in
haeresim suam a nostra veritate desciit”. Wir haben hier eine
römische Lokaltraditon, die uns lehrt, daß der wohlhabende
Schiffsherr M. nicht als notorischer, schlechthin zu fliehender
Ketzer
nach Rom gekommen ist — war er irgendwo schon von einer Gemeinde
ausgewiesen, so hatte das bei den damaligen Verhältnissen noch
keine allgemeine Folge —, daß aber sein Bruch mit der
römischen
Kirche b a l d nach seiner
Ankunft erfolgt ist. Daß Tert. den M. bei
seiner Ankunft in Rom noch für einen guten katholischen Christen
hält und von seinem „primus calor fidei” spricht, zeigt nur,
daß
er von M.s früherem Leben nichts gewußt hat. Sowohl das
Geldgeschenk beim Eintritt in die Gemeinde als auch die Rückgabe
beim
Bruch sind interessante Tatsachen; wäre das etwas
Gewöhnliches
gewesen, so hätte sich das Gedächtnis daran nicht zwei
Generationen hindurch erhalten ².
—————
¹ Tert. erlaubt sich die unverschämte Bemerkung
(V, 1): „Pontice nauclere, si nusquam furtivas merces vel inlicitas in
acatos tuos recipisti, si nusquam omnino onus avertisti vel
adulterasti” etc. Die Ausschweifungen der Schiffsleute (adv. Valent.
12: „Quis nauclerus non etiam cum dedecore laetatur? videmus cotidie
nauticorum lascivias gaudiorum”) hat Tert. niemals dem M. zur
Last gelegt.
² K r ü g e r
(Artikel „Marcion” in H a u k s
REncyklopädie), H i l g e n f e l d
(Ketzergesch.) u. a. nehmen an,
Tertullian überliefere, daß M. erst in Rom Christ
geworden sei
und bei seinen Übertritt das Geldgeschenk gemacht habe,
und K r ü g e r verwirft auf Grund
dieser Überlieferung die anderen
entgegenstehenden Zeugnisse. Nun ist einzuräumen, daß der
Ausdruck „in primo calore fidei” so zu verstehen ist. Allein er
18*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
Da M.
dem Tert. nur seit seiner Ankunft in Rom bekannt ist, so
bezeichnet er ihn konsequent als „haereticus Antoninianus”; aber er hat
noch Genaueres über die Chronologie gewußt. De
praescr. 30
schreibt er: „Ubi tunc Marcion, Ponticus nauclerus, Stoicae studiosus?
(Vgl. c. 7: „Inde Marcionis deus melior de tranquillitate, a Stoicis
venerat”; adv. Marc. II, 27: M.s Gott = „philosophorum
deus”) ¹. Ubi tunc Valentinus, Platonicae sectator? nam constat
illos neque adeo olim fuisse, Antonini fere principatu, et in
catholicae primo doctrinam credidisse apud ecclesiam Romanensem sub
episcopatu Telesfori ²
—————
muß
nicht so verstanden
werden; er kann auch eine falsche pragmatische Stilblüte
Tert.s sein. Daß man ihn nicht pressen darf, scheint mir aus
de praescr. 30 zu folgen; denn wenn es dort von M. und
Valentin
heißt, daß sie „in catholicae primo doctrinam crediderunt
apud ecclesiam Romanensem”, so soll das gewiß nicht bedeuten,
daß beide in Rom zum Christentum übergetreten sind, sondern
daß sie in ihrer vorhäretischen Periode in Rom mit der
dortigen Gemeinde in Glaubensgemeinschaft gestanden haben. Sollte aber
Tert. wirklich angenommen haben, M. sei erst in Rom zum
Christentum übergetreten, so muß diese seine Meinung
notwendig falsch sein; denn wenn man auch über das Papias-Zeugnis
hinwegkommen kann, so ist es doch unmöglich, das Zeugnis
des
s t a d t r ö m i s c h e n Schriftstellers Hippolyt, der
gleichzeitig mit
Tert. geschrieben hat, zu verwerfen (s. u.). — Ich gestehe,
daß meine Rekonstruktion der Geschichte M.s nicht
völlig sturmfest ist, aber die entgegenstehende ist es noch
weniger, und auch in bezug auf M. muß man sich Rufins Wort
erinnern (Expos. Symb.), daß keine Häresie in Rom ihren
Anfang genommen habe. Was aber die Tatsache betrifft, daß M.
in Rom von der Gemeinde aufgenommen wurde, obgleich er anderswo
ausgeschlossen war, so hat man sich zu erinnern, daß dies auch
noch in viel späterer Zeit vorkam und „den 12. Kanon der h.
Apostel” (L a g a r d e, Reliq.
iur. eccl. antiquiss. p. 22, 6 f.) nötig
machte: Εἴ τις κληρικὸς ἢ λαϊκὸς ἀφωρισμένος ἢτοι ἄδεκτος ἀπελθὼν ἐν
ἑτέρᾳ πόλει δεχθῇ ἄνευ γραμμάτων συστατικῶν, ἀφοριζέσθω καὶ ὁ δεξάμενος
καὶ ὁ δεχθείς. Vgl. auch c. 16 p. 23, 1 f.; c. 33 p. 26, 3 f.
¹
Stoische Studien darf man
hieraus nicht folgern. Die Kirchenväter haben M. mit der
Stoa, mit
Epikur, mit den Cynikern, mit Empedokles, mit Pythagoras und Plato in
Zusammenhang gesetzt, um ihn zu diskreditieren. Diese Musterkarte
widerlegt sich selbst. Philosophische Studien treten nirgends hervor,
aber das kann Absicht sein. Seine Textkritik zeigt den
schulmäßig
gebildeten Mann.
² Im Texte steht „Eleutheri”; dieser Anachronismus
(Eleutherus war römischer Bischof c. 176—c. 189) ist Tert.
nicht
zuzutrauen. Auch
19*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
benedicti,
donec ob inquietam
semper curiositatem, qua fratres quoque
vitiabant, novissime in perpetuum discidium relegati ¹ venena
doctrinarum
suarum disseminaverunt”, u. adv. Marc. 1, 19: „Anno XV.
Tiberii Christus Jesus de caelo manare
dignatus est, spiritus salutaris Marcionis, salutis † qui ita voluit
quoto quidem anno Antonini maioris de Ponto suo exhalaverit aura
canicularis, non curavi investigare. De quo tamen constat,
Antoninianus haereticus est, sub Pio impius. a Tiberio autem usque ad
An-
—————
die
Verweisung auf Hegesipp (bei Euseb., h. e. IV, 22,
3), der
mitteilt, Eleutherus sei der Diakon des Anicet gewesen, reicht nicht
aus, auch wenn man annimmt, er habe unter diesem Bischof bereits eine
bedeutende Rolle gespielt. Da der Zusatz „benedicti“ es nahe legt,
daß
der betreffende Bischof Märtyrer oder Confessor war, da ferner
Irenäus von dem römischen Bischof Telesphorus — und in der
Reihe
der römischen Bischöfe nur von ihm — sagt (III, 3, 3): ὃς
ἐνδόξως ἐμαρτύρησε (was beides bedeuten
kann), da weiter Tert. adv. Valent. 4 bemerkt:
„Speraverat (Romae)
episcopatum Valentinus ...., sed alium ex martyrii
praerogativa loci potitum indignatus de ecclesia authenticae regulae
abrupit”, und da endlich lautlich „episcopatu telesfori” und
„episcopatu eleftheri” sich sehr ähnlich sind (zumal wenn, wie
wahrscheinlich in beiden Namen, nur einer der beiden Doppelkonsonanten
gesprochen wurde), so wird ein sehr früher Schreiber die Namen
verwechselt haben. Zwar sagt Irenäus, Valentin und Cerdo seien
unter
dem Nachfolger des Telesphorus, Hyginus, nach Rom gekommen und Marcion
nach Cerdo; allein diese kleine Differenz fällt um so weniger ins
Gewicht, als damals der monarchische Episkopat in Rom noch nicht
ausgebildet war, Telesphorus und Hyginus als Bischöfe
nebeneinander
gestanden haben mögen und Valentin sich nicht sowohl
um d a s
Bischofsamt, als vielmehr nur um ein Bischofsamt in Rom bemüht
haben wird. Beachtenswert ist endlich, daß nach dem Carmen
Pseudotertulliani adv. Marc. III, 282 ff. Cerdo unter
Telesphorus nach
Rom gekommen ist. Hier haben wir also die Verbindung e i n
e s der drei
ziemlich gleichzeitig in Rom auftauchenden Häresiarchen (Cerdo,
Valentin, Marcion) mit dem Namen des Bischofs Telesphorus. Der Verf.
des Carmen hat als seine Hauptquellen Irenäus und Tertullian
benutzt. Er wird also in de praescr. 30 noch den Namen
„Telesphorus”
gelesen haben; denn wie soll er sonst auf ihn gekommen sein?
¹ Da Tert. hier M. und Valentin einfach
zusammenfaßt, so darf man die Angaben nicht pressen; sie stimmen
z. T.
mit dem überein, was Irenäus über Cerdo, jedoch viel
konkreter berichtet (III, 4, 3: Κέρδων πολλάκις εἰς τὴν ἐκκληίαν ἐλθὼν
καὶ ἐξομολογούμενος, οὕτως διετέλεσε, ποτὲ μὲν λαθροδιδασκαλῶν, ποτὲ δὲ
πάλιν ἐξομολογούμενος, ποτὲ δὲ ὑπό τινων ἐλεγχόμενος ἐφ’ οἷς ἐδίδασκε
κακῶς καὶ ἀφιστάμενος τῆς τῶν ἀδελφῶν συνοδίας.)
20*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
toninum
anni fere CXV et
dimidium anni cum dimidio mensis. tantundem temporis ponunt inter
Christum et Marcionem”.
Ich habe in meiner Chronologie (I S. 297 ff., 306 f)
die letztere Stelle ausführlich behandelt. Die 115 Jahre und
6½ Monate bezeichnen nicht den Abstand zwischen zwei Ereignissen
aus dem Leben der Kaiser Tiberius und Pius, sondern den zwischen
Christus und Marcion ¹. Die r ö m i s c h e n
Marcioniten haben ihn berechnet und auch in dieser Berechnung ihre hohe
Meinung von der Bedeutung ihres Stifters zum Ausdruck gebracht; erst in
der Gemeinde Muhameds stößt man wieder auf Ähnliches.
Die Zahl führt aber, vom 15. Jahr des Tiberius (29 p. Chr.)
gerechnet und zwar von seinem Anfang, auf die zweite Hälfte des
Juli des J. 144. D a s k a n n n u
r d a s
J a h r d e s v o l l e n d e t e n
B r u c h s M.s m i t d e
r K i r c h e u n d d e
r
G r ü n d u n g s e i n e r e i g e n e
n K i r c h e a u f d e m F
u n d a m e n t d e s n e u e n
S c h r i f t e n k a n o n s s e i n ². Zu
diesem Jahr fügt sich auch
anderes chronologisches Material; s. u. Da M. nach Tert. „bald“ nach
seiner Ankunft in Rom,
andrerseits aber doch erst nach einer gewissen Zeit gefährlicher
Wirksamkeit („inquieta semper curiositas” — geht das auf die
Bibelkritik, die Abfassung der Antithesen und die Herstellung des
Kanons? — „vitiatio fratrum”) definitiv aus der römischen Gemeinde
ausgeschlossen worden ist, so wird seine Ankunft in Rom ungefähr
mit dem Regierungsantritt des Kaisers Pius zusammenfallen (s. u.)
³.
—————
¹ Auf den ersten Blick sieht es freilich so aus, als beziehe sich
die Berechnung auf die Kaiser; allein erstens stimmt die Berechnung
hier nicht, wie man auch ihren Anfangs- und ihren Endpunkt ansetzen
mag; zweitens sieht man nicht ein, welches Interesse Tert. in
diesem Zusammenhang haben sollte, den Abstand zwischen Tiberius und
Pius auf den Tag zu berechnen; drittens ist das „tantundem ponunt” nur
verständlich, wenn die Rechnung von Marcionitischer Seite
herrührt.
² Ganz deutlich müssen dabei die
Marcioniten einem bestimmten Monatstag im Auge gehabt haben als den
Stiftungstag ihrer Kirche.
³ B i l l
(Texte u. Unters. Bd. 38 H. 2 S. 66—72) hat sich auch davon
überzeugt, daß die 115 JJ. 6½ Monate aus einer
Marcionitischen Rechnung stammen müssen und daher ein Tag in der
2. Hälfte des Juli 144 für M. ein bedeutendes Ereignis
bezeichne; er besteht aber gegen L i p s i u s,
Krüger und mich darauf, es müsse der Abreisetag M.s aus
dem Pontus sein, weil die Stelle von Tert. mit den Worten
eingeführt würde: „Quoto
21*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
Die
marcionitische Kirche hat also ihren Stiftungstag im Gedächtnis
behalten und überliefert; die rechtgläubige römische
Gemeinde aber hat die Verhandlungen mit M. nicht vergessen, die
zum Bruch geführt haben, samt dem Geldgeschenk. Über diese
Verhandlungen werden wir noch von Hippolyt Näheres hören (s.
u.). Vielleicht steht mit ihnen auch ein Brief in Zusammenhang, den
Tert. dreimal erwähnt ¹. De carne 2 schreibt er: „Cum
Christianus fuisses, excidisti rescindendo quod retro credidisti, sicut
et ipse confiteris in quadam epistola et tui non negant et nostri
probant“; adv. Marc. I, 1: „Marcion deum, quem invenerat,
extincto lumine fidei suae amisit; non negabunt discipuli eius primam
illius fidem nobiscum fuisse, ipsius litteris testibus“, und IV, 4:
„Quid nunc, si negaverint Marcionitae qrimam apud nos fidem eius
adversus epistolam puoque ipsius? quid si nec epistolam agnoverint?
certe Antitheseis non modo fatentur Marcionis, sed et praeferunt. ex
his mihi probatio sufficit“. Ob Tert. selbst den Brief eingesehen
hat ² und ob Marcioniten
—————
anno
Antonini maioras d e P o n t o s u
o
e x h a l a v e r i t aura canicularis” etc. Allein
das ist ein kleinliches Argument; den römischen Marcioniten war es
doch gewiß gleichgültig (selbst wenn es sich hätte
feststellen lassen), an welchem Tage M. den Pontus verlassen hat,
vielmehr interessierte sie es nur, wann der Wind ihn nach Rom geweht
hat. Aber auch hier war nicht der Ankunftstag der entscheidende,
sondern der Tag, an dem der einst in Judäa aufgetretene Jesus nach
Paulus endlich wieder einen wahrhaftigen Zeugen erhalten hat, der der
judaistisch gewordenen Kirche den Kampf ansagte und die wahre Kirche
neu begründete. Man bemerkte aber auch, daß Tert. zwar
mit der Frage beginnt, wann die Hundstagluft M. aus seinem Pontus
ausgehaucht hat, aber diese Frage nicht nur nicht bereinigt, sondern
dahingestellt sein läßt, dann aber sagt: „Zwischen Christus
und Marcion zählen die Marcioniten 115 Jahre und 6½
Monate.” Also muß der Marcion-Tag, der hier zugrunde liegt,
ebenso bedeutend sein wie der Christus-Tag. Dieser Tag war der Tag der
Epiphanie Christi, mit der das Heil anhob, also muß der
Marcion-Tag der Kirchengründungstag sein. Die Epiphanie Christi
haben diese Marcioniten entweder schon nach einer Überlieferung
auf den 6. Januar gesetzt oder einfach das Jahr 29 (Anfang) angenommen.
In beiden Fallen wird man auf den Monat geführt, den auch die
Hundstage fordern.
¹ Ob noch ein Brief M.s zur Kenntnis
Tert.s gekommen ist, darüber s. oben in dem Kapitel über die „Antithesen“.
² Daß die Geschichte vom Geldgeschenk im
Brief gestanden hat, ist unwahrscheinlich.
22*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
in
der Verlegenheit wirklich
einmal die Echtheit des Briefs beanstandet haben, mag auf sich beruhen
¹. Daß er echt war, braucht man nicht zu bezweifeln; aber
wir können den Worten Tert.s nicht mehr entnehmen, als
daß M. nach seinem eigenen Zeugnis der großen Kirche
einst angehört und sie dann verlassen hat, „rescindendo quod retro
credidit“ ². Er hat sich also in einer inneren Auseinandersetzung
von dem alten Glauben, d. h. dem damaligen christlichen Gemeinglauben,
befreit. Daß er noch als ü b e r z e u g t e r
Anhänger desselben nach Rom gekommen ist, läßt sich aus
den Angaben nicht schließen. Wir haben den Brief wohl im Archiv
der römischen Gemeinde zu suchen, und M. mag ihn geschrieben
haben, um der Gemeinde offen seine innere Entwicklung darzulegen. Der
Brief ist dann öfters besprochen, bezw. den Anhängern
M.s vorgerückt worden, die natürlich die Beweiskraft des
Briefes gegen die Lehre des Meisters (als eine spätere, also
jüngere und deshalb schon falsche) ablehnten. Zieht doch
Tert. selbst ganz ungerechtfertigte Folgerungen aus dem Brief,
wenn er von dem „primus calor fidei” M.s spricht und in IV, 4
augenscheinlich auch aus dem Brief beweisen will, der kirchliche
Vier-Evangelien-Kanon sei alter als M.s Evangelium.
Augenscheinlich hat Tert. von dem Leben M.s so gut wie nichts
gewußt; ware es ihm bekannt gewesen, so hätte er sich nicht
adv. Marc. I, 1 in abgeschmackten Ausführungen über
den Pontus ergangen, während er an dieser Stelle nach
schriftstellerischem Herkommen von der Person und den
Lebensumständen M.s hätte reden müssen. Sein Wissen
beschränkte sich auf wenige Nachrichten: „den Ponticus nauclerus“;
den Eintritt in die römische Gemeinde, begleitet von einem
namhaften Geldgeschenk; den „Brief“, in welchem er Rechenschaft gegeben
hat, warum er die herrschenden christlichen Lehranschauungen nicht
teilen könne; die stetige Beunruhigung der Brüder durch
dogmatisch-historische Fragen; die Prädizierung als Diadoche des
Lehrers Cerdo; die definitive Exkommunikation samt der Rückgabe
des Geldes. Die genaue
—————
¹ Mir ist beides wahrscheinlich.
² Daher schreibt Tert. auch de carne 3:
„Angelos creatoris conversos in effigiem humanam aliquando legisti et
credidisti.“
23*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
Bestimmung
der Zeit zwischen
Christus und Marcion verdankt Tert. einer Marcionitischen Angabe
¹.
In de praescr. 30 steht noch etwas zu lesen,
nämlich: „Postmodum Marcion paenitentiam confessus cum conditioni
sibi datae occurrit, ita pacem recepturus, si ceteros, quos perditioni
erudisset, ecclesiae restituerat, morte praeventus est”. Allein diese
Nachricht ist höchst wahrscheinlich unglaubwürdig und ein
Kirchenklatsch, der sehr rasch wieder verstummt ist; denn 1. kein Zeuge
sonst erwähnt ihn, auch nicht der Römer Hippolyt, 2.
Tert. selbst hat später der Nachricht keinen Glauben mehr
geschenkt; denn in dem großen Werk gegen M. schweigt er
über sie, er hätte sie aber mindestens I, 1 erwähnen
müssen, wo er davon spricht, daß M. f r ü h
e r den Glauben der Kirche
geteilt habe, 3. die dem M. angeblich auferlegte Bedingung war
unmöglich zu leisten ². Interessant ist aber, daß schon
so frühe einem Ketzer gegenüber die
pragmatisch-tendenziöse Legende gearbeitet hat: Selbstmord (bezw.
vom Teufel geholt) oder Bekehrung auf dem Totenbett sind bekanntlich
nach der Legende der fünfte Akt im Leben eines Ketzerhauptes.
8. D a s Z e u g n i
s
H i p p o l y t s u n d E p i p h a n i u s’
³.
Hippolyt hat in seinem verlorenen Syntagma gegen 32
Häresien, in seiner späteren „Refutatio” der Häretiker
(Philosoph.)
—————
¹ Bei Esnik (J. M. S c h m i d,
Esnik von Kolb, 1900, S. 176) besitzen wir noch eine Marcionitische
Berechnung, nämlich die sonst unbezeugte Angabe, es seien vom
Sündenfall bis zum Erscheinen Christi 2900 Jahre verlaufen. Diese
Vertauschung von 3000 JJ. mit 2900 kann doch nur aus der Tendenz
entsprungen sein, die überlieferten 3000 JJ. auf das Erscheinen
Marcions zu deuten, mit und nach dessen Auftreten das Weltende kommt.
Hiernach ware M. also im J. 129 aufgetreten. Allein die von 3000
JJ. abgezogenen 100 Jahre dürfen doch wohl nur als runde Summe
aufgefaßt werden (s. oben: die Marcioniten haben 115 JJ. und
6½ Monate zwischen Christus und Marcion gesetzt), und deshalb
bestätigt die interessante Stelle (neben der Überzeugung von
der Nähe des Weltendes, die hier zum Ausdruck kommt) nur die
chronologische, auf Marcion zielende Berechnung, die wir aus Tertullian
kennen.
² Man darf sich nicht auf Cypr., ep. 55, 11
berufen: denn hier lag der Fall ganz anders.
³ Die persönlichen Angaben Esniks
über M. stammen sämtlich aus Epiph.
24*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
und, nach dem Zeugnis des
Eusebius (h. e. VI, 22), außerdem noch in einer
besonderen (verlorenen) Schrift den M. bekämpft. Im Syntagma,
dessen Abfassungszeit in die Zeit der Abfassung der Tertull. Schrift de
praescript. fällt, hat er mehrere persönliche Angaben
über M.
gemacht ¹, dagegen beschränkt er sich in der Refut. auf die
Mitteilung, Cerdo sei der Lehrer des Pontikers Marcion. Dies stand
auch im Syntagma und zwar genauer: M. wurde in Rom der
Schüler Cerdos. Außerdem
enthielt das Syntagma mindestens noch folgende Mitteilungen:
(1)
M. war der Sohn eines pontischen Bischofs und
zwar des von Sinope ²;
(2) er
wurde dort exkommuniziert, weil er eine
Jungfrau verführt hatte;
(3) er
ist dann nach Rom gekommen und hat dort „den Presbytern und Lehrern,
den Schülern der Apostelschüler“ ³,
die
—————
¹ Die Rekonstruktion des Syntagmas wie sie L i p s i u
s geboten hat, ist deshalb
unzuverlässig, weil er übersehen
hat, daß von den drei Benutzern des Werks Pseudotertullian,
Epiphanius
und Filastrius der dritte zugleich auch den zweiten benutzt hat. Mir
ist es wahrscheinlich, daß Pseudotertullian und Filastrius nur
die
Epitome des Syntagmas, welches ein ausführliches Werk war,
ausgeschrieben haben, Epiphanius aber das Werk selbst. Unter dieser
Voraussetzung bleibt es in einer Reihe von Fällen zweifelhaft, was
Epiphanius dem Hippolyt entnommen, was er aus anderen Quellen
geschöpft und was er selbst hinzuphantasiert hat.
²
Pseudotert. nennt Sinope nicht; da er aber „episopi filius” und
den Pontus bezeugt, wird er wohl auch „Sinope”
gelesen haben. Er verkürzt ja auch sonst stark. Daß
Tert. Sinope als
Vaterstadt M.s gekannt hat, möchte ich trotz I, 1 nicht
annehmen,
wo er sich des Diogenes, der auch aus Sinope stammte, erinnert; denn er
fährt fort: „Ne tu, Euxine, probabiliorem feram philosophis
edidisti quam Christianis”. Hätte er gewußt, daß
M. nicht nur
als Pontiker, sondern auch als Bürger von Sinope Landsmann des
Diogenes
war, so hätte er statt „Euxine“ die Stadt Sinope genannt. —
Gewiß hat schon Hippolyt geschrieben „d e s
Bischofs von Sinope”;
aber daraus folgt nicht, daß damals schon in Sinope ein
monarchischer
Bischof war. Optatus (IV, 5) macht den M. selbst zum Bischof („ex
episcopo apostata factus”); er hat Pseudotertullian, den er gekannt
hat,
flüchtig gelesen. Eine späte Legende weiß zu berichten,
daß unter
Trajan der Bischof Phokas in Sinope hingerichtet worden sei.
³ Epiph. schreibt ἀπὸ τῶν μαθητῶν τῶν ἀποστόλων ὁρμώμενοι —
das geht gewiß auf Hippolyt zurück, der in seinem Schriften
so
oft die Apostelschüler, bez. ihre Schüler als Instanzen
ausspielt. Übrigens saßen
25*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
Frage vorgelegt, wie Luk. 6,
43 zu deuten sei ¹. Die Verhandlungen
führten schließlich zu seiner Exkommunikation, und er
schloß
sich nun dem Häretiker Cerdo an ².
Aus diesen Mitteilungen schimmert deutlich hervor,
daß M. schon mit einer eigentümlichen Lehranschauung
nach Rom
gekommen ist, daß er aber ursprünglich noch nicht als
erklärter
Häretiker außerhalb der Gemeinde gestanden hat, sondern erst
nach einer
gewissen Zeit und auf Grund einer förmlichen Verhandlung in der
Gemeinde ausgeschlossen worden ist. Daß bei dieser Verhandlung
Luk. 6, 43 eine Rolle gespielt hat, läßt sich aus
Tert., adv. Marc. I, 2 bestätigen ³. Auch
Tert. muß gehört oder bei M.
gelesen haben, daß M. diesem Spruch Jesu eine grundlegende
Bedeutung
beigelegt hat; denn er beginnt seine Darstellung der Lehre M.s mit
diesem Spruch, d. h. mit der Marcionitischen Auslegung desselben,
durch welche die Existenz zweier Götter bewiesen sein soll.
Beachtenswert ist, daß bei Hippolyt (anders bei Epiphanius) die
Anekdote, M. sei bereits in seiner Heimat einer
Fleischessünde wegen exkommuniziert worden, in keine deutliche
Verbindung mit der Exkommunikation in Rom gesetzt war. Diese Anekdote
ist schwerlich glaubwürdig. Zwar das Schweigen Tert.s, ja
seine
sarkastische Prädizierung M.s als „sanctissimus magister“ (de
praesc. 30) besagt nichts — „sanctissimus” war M. als
Lehrer der
vollkommenen Ehelosigkeit —, und warum soll ein späterer Asket
nicht
früher einmal in Sünde gefallen sein? Aber soll M.
wirklich einmal einer Fleischessünde wegen in seiner Vaterstadt
und einmal der Irrlehre wegen in Rom aus der Gemeinde entfernt worden
sein?
—————
im J. 144
wirklich noch
Schüler von Apostelschülern im römischen Presbyterium.
¹ So nach Pseudotert. Epiphanius setzt
dafür
Luk. 5, 36 f. ein, ein im Sinne M.s noch klarer Spruch, auf den
der
Meister und seine Kirche auch großes Gewicht gelegt haben, was
Epiph. bekannt gewesen sein muß. Filastrius bringt beide
Sprüche, da
er von Hippolyt und von Epiph. abhängig ist.
² Die Nachricht des Filastrius (s. o.), M.
sei
von Johannes in Ephesus abgewiesen worden, kann nicht im Syntagma
gestanden haben; denn sonst hätte sie sich Epiphanius nicht
entgehen
lassen.
³ Vgl. auch Orig., Comm. Ser. 117 in Matth.,
T. V p. 23; Comm. III, 6 in Rom., T. VI p. 195.
26*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
Wie nahe lag es dagegen
andrerseits, daß sich das Urteil, er habe schon in seiner
Vaterstadt durch seine Irrlehre die Kirche, die reine Jungfrau,
verführt, zu der Legende verdichtete, er habe eine Jungfrau dort
verführt? Schreibt doch Epiphanius (h. 42, 3): Οὗτος τὸ γένος
Ποντικὸς ὑπῆρχεν, Σινώπης δὲ πόλεως, ὡ ς π ο λ
ὺ ς π ε ρ ὶ α ὐ τ ο ῦ ᾄ δ ε τ α
ι λ ό γ ο ς. Man
wußte sich also viel von der Frühzeit M.s zu
erzählen, was selbst Epiphanius weiterzugeben Bedenken getragen
hat. Und Tert. schreibt de praescr. 44: „Quid ergo dicent
qui illam stupraverint adulterio haeretico virginem traditam a
Christo“, vgl. Hegesipp (bei Euseb., h. e. IV, 22.
1): Διὰ τοῦτο ἐκάλουν τὴν ἐκκλησίαν παρθένον˙ οὔπω γὰρ ἔφθαρτο ἀκοαῖς
ματαίαις ¹.
Die
Glaubwürdigkeit dieses Berichts, abgesehen von der
Verführungsgeschichte, ist unantastbar ²; fraglich bleibt
nur, ob M. seine Vaterstadt schon als dort Exkommunizierter
verlassen hat. Unwahrscheinlich ist das nicht, vielmehr sehr glaublich,
weil es die Voraussetzung der falschen Anekdote zu sein scheint. Die
Exkommunikation aus einer Gemeinde war noch damals nur für diese
gültig (s. o.).
Was
Epiphanius diesem Bericht noch hinzugefügt hat, muß beiseite
gelassen werden; denn es trägt den Stempel der Amplifikation oder
der Tendenz an der Stirn. Er berichtet (c. 1), M. sei
ursprünglich Asket gewesen (τὸν πρῶτον αὐτοῦ βίον παρθενίαν δῆθεν
ἤσκει˙ μονάζων γὰρ ὑπῆρχεν), sein Vater habe sich durch besondere
Gewissenhaftigkeit als Bischof ausgezeichnet und deshalb seien alle
Bitten des Sohnes, ihn vor der Ausschließung (einer
Fleischessünde wegen) zu bewahren, vergeblich
—————
¹ Fort und fort ist in der Kirche so gesprochen worden; s. z. B.
die besonders deutliche Stelle Georg v. Eliberis, Comm. in Cantic. 1.
II (H e i n e - V o l b e d i n g, Biblioth.
Anekd., 1848, S. 145): „ ,Mulieres‘ itaque has haereticorum plebes
praedicatas esse nulla est dubitatio, quae adulterino doctrinae stupro
corruptae et perversae traditionis adulterio violatae iam non
,virgines‘ sed ,mulieres‘ dici meruerunt,” und Ephraem in dem 24.
Gedicht gegen die Ketzer c. 5 (deutsch v. Z i n g e r
l e, 1873, S. 263): „Die Braut
des Sohnes schändeten (die Sektenstifter) unter den Griechen, weil
auch ihre Jünger sich nach dem Namen ihrer Lehrer nannten.“
² Für die Glaubwürdigkeit spricht auch, daß die
Verhandlung nicht vor einem Bischof geführt wird, vielmehr „die
Presbyter und Lehrer” die Autoritäten sind (vgl. den Hirten des
Hermas).
27*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
gewesen. M., so
fährt Epiph. fort, ist darauf sofort nach Rom gegangen ¹,
aber seine Bitte, ihn in die Gemeinde aufzunehmen, wurde von den
dortigen Presbytern abgelehnt; wütend darüber und weil er
nicht das Bischofsamt in Rom erlangen konnte ², ist er zur Sekte
Cerdos übergetreten.
Epiph. hebt dann aufs neue an (c. 2): M. legte den
römischen Presbytern und Lehrern die Frage vom neuen Wein und den
alten Schläuchen usw. vor; diese geben ihm sanftmütig eine
lange Erklärung der Stelle, M. aber lehnt sie ab und bietet
eine andere. Da sie ihn nun nicht aufnehmen wollten und er sie deshalb
zur Rede stellte, erklärten sie, sie könnten ihn ohne
Erlaubnis seines verehrungswürdigen Vaters nicht aufnehmen. Da
schleuderte er ihnen das Wort zu: σχίσω τὴν ἐκκλησίαν ὑμῶν καὶ βαλῶ
σχίσμα ἐν αὐτῇ εἰς τὸν αἰῶνα. D i e s e
dramatische Szene hat nichts Glaubwürdiges, auch wenn es damals
dramatisch in der Versammlung zugegangen ist.
Daß M. einen Bischof zum Vater gehabt hat, ist wichtig. Darf
man hiernach annehmen, was nicht unwahrscheinlich, daß er in
christlicher Luft aufgewachsen ist, so fügt sich das trefflich zu
seinem Bilde. Seine Entwicklung wird verständlicher,
—————
¹ Μετὰ τὸ τελευτῆσαι Ὑγῖνον τὸν ἐπίσκοπον Ῥώμης — ich habe
früher diese genaue Nachricht auf Hippolyt zurückgeführt
und für beachtenswert gehalten; es erscheint mir aber jetzt
wahrscheinlicher, daß sie dem Epiph. gebührt und aus der
Angabe des Irenäus entstanden ist, die Epiph. wiederholt hat,
Cerdo sei unter Hygin nach Rom gekommen. Da M. auch nach
Irenäus später als Cerdo Rom betreten hat, so war es das
Bequemste, seine Ankunft auf die Zeit unmittelbar nach dem Tode des
Hyginus anzusetzen. Wahrscheinlich aber hat Epiphanius nicht ἐπὶ τοῦ
Πίου ἐπισκόπου geschrieben, weil er in seiner Quelle (Hippolyt) fand,
daß M. mit den Presbytern und Lehrern verhandelt hat, und
das so verstand, als sei damals in Rom der bischöfliche Thron
erledigt gewesen; er behauptet ja auch, M. habe nach ihm gestrebt. —
In haer. 48, 1 schreibt Epiph.: Ὁ Μαρκίων δὲ καὶ οἱ περὶ Τατιανὸν
καὶ οἱ ἀπ’ αὐτοῦ διαδεξάμενοι Ἐγκρατῖται ἐν χρόνοις Ἀδριανοῦ καὶ μετὰ
Ἀδριανόν. Er muß doch wohl von irgendwoher eine Nachricht
besessen haben, daß M. schon in die Zeit Hadrians
gehört (s. o. bei Clemens).
² Der Satz ζήλῳ λοιπὸν ἐπαρθείς, ὡς οὐκ ἀπείληφε τὴν
προεδρίαν τε καὶ τὴν εἴσδυσιν τῆς ἐκκλησίας, ist selbst für
Epiph. naiv. Das folgende ἐπινοεῖ ἑαυτῷ verstehe ich nicht.
28*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
wenn er lange innerhalb den
großen Kirche gestanden und es mit ihrem Christentum ernstlich
versucht hat ¹.
Von
drei Ausweisungen, bez. Exkommunikationen M.s berichtet uns die
Überlieferung: in Sinope, in Asien und in Rom. Die zweite macht es
wahrscheinlich, was an sich wahrscheinlich war, daß M. auch
schon in Sinope aus der Gemeinde ausgewiesen worden ist, weil seine
Lehre unerträglich erschien ². So ergibt sich ein gewisses
Bild von der Geschichte M.s vor seinem definitiven Bruch mit der
großen Kirche. Schon in Sinope hatte er Grundzüge seiner
Lehre ausgebildet und wollte sie in die Gemeinde einführen; aber
der Versuch glückte nicht, und er mußte die Gemeinde
verlassen. Er begab sich nun nach Asien, um dort den Versuch aufs neue
aufzunehmen; aber auch dort wurde er abgewiesen, ja die Säule
Asiens, Polykarp, schleuderte ihm das Wort „Erstgeborener des Satans”
zu. Allein M. ließ sich in seinem Bestreben, die von ihm
gewonnene Erkenntnis des Evangeliums in der Christenheit durchzusetzen,
nicht erschüttern, sondern ging nach Rom (um d. J. 140), um die
dortige Gemeinde zu gewinnen. Eine Zeitlang hat er sich dort gehalten;
aber schließlich kam es i. J. 144 — der Monatstag blieb in den
Kirche M.s unvergessen — nach einer großen Verhandlung in
der Gemeinde zu einem definitiven Bruch, und er gründete seine
eigene Kirche, die in wenigen Jahren sich Über das ganze Reich
verbreitete.
—————
¹ Vgl. Orig., Comm. II in Cantic., T. XIV p. 10: „Omnes
haeretici primo ad credulitatem veniunt et post haec ab itinere fidei
et dogmatum veritate dei declinant”; derselbe, Sel. in Prov., T. XIII
p. 228: Οἱ ἀλλότριοι τῆς ἐκκλησίας ἄλλα μὲν ἐπαγγέλλονται κατ’ ἀρχάς,
ἄλλα δὲ κατὰ τέλη˙ ἀφιστᾶσι μὲν γὰρ εἰδωλολατρείας ἐξ ἀρχῆς καὶ
προσάγουσι τῷ δημιουργῷ˙ εἶτα μετατιθέμενοι τὴν παλαιὰν ἀθετοῦσι γραφὴν
ἐναντιούμενοι τῇ στοιχειώδει νεότητι.
² Doch würde man dem Bericht des Epiph. zuviel Ehre
antun, wenn man aus den Worten, mit denen die Presbyter in Rom die
Aufnahme M.s ablehnten (οὐ δυνάμεθα ἄνευ τῆς ἐπιτροπῆς τοῦ τιμίου
πατρός σου τοῦτο ποιῆσαι˙ μία γάρ ἐστιν ἡ πίστις καὶ μία ἡ ὁμόνοια καὶ
οὐ δυνάμεθα ἐναντιωθῆναι τῷ καλῷ συλλειτουργῷ πατρὶ δὲ σῷ),
schließen wollte, hier schimmere noch durch, daß Irrlehre
der Grund der Abweisung gewesen sei und nicht eine Fleischessünde.
— Woher H e n k e (Gesch. der
christl. Kirche I S. 115) weiß, M.s eigener
Vater habe die römische Gemeinde von seinem Sohne gewarnt, ist mir
nicht bekannt.
29*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
9. D a s Z e u g n i s e i n e
r u n b e k a n n t e n Q u e l l e
d e s H i e r o n y m u s (Origenes?).
Hieronymus, der selbständig nichts mehr von
M. weiß, bringt in ep. 133, 4 die abgerissene Notiz:
„Marcion Romam praemisit mulierem, quae decipiendos sibi animos
praepararet”. Sie erweist, daß M. schon mindestens die
Grundzüge seiner Lehre gefaßt hatte und auf die Propaganda
seines Christentums bedacht war, bevor er nach Rom kam. Also werden
unsere oben gegebenen Ausführungen bestätigt ¹.
10. D a s Z e u g n i
s
d e r E d e s s e n i s c h e n C h r o n i
k u n d d e s F i h r i s t.
In dieser Chronik (s. H a l l i e r
i. d. Texten u.
Unters. IX, 1 S. 89) findet sich zum Jahr 449 = 137/8 p. Chr.
die Bemerkung: „In diesem Jahr schied M. aus der katholischen
Kirche aus“. Vgl. Lib. Chaliph. (L a n d,
Anecd. I, 18.8): „Im J. 448 = 136/7 p. Chr. wurden die Häretiker
Marcion und Montanus bekannt” (dazu Joh. Malalas p. 279 edit. Bonn). Im
Fihrist des Muhammed ben Ishak (s. u.), der sich durch beachtenswerte
Angaben über die Häretiker auszeichnet, wird
berichtet (F l ü g e l, Mani S. 85): „Marcion
ist c. 100 Jahre vor Mani, der im 2. Jahr des Kaisers Gallus erschien,
aufgetreten unter der Regierung des T. Antoninus und zwar im ersten
Jahr seiner Herrschaft (Bardesanes ist c. 30 Jahre nach M.
erschienen)“. Diese drei Zeugnisse gehen wahrscheinlich auf
e i n e Quelle zurück, die das 1.
Jahr des Pius für M. angab (welches die beiden anderen Zeugen
falsch berechnet haben). Das fügt sich gut zu der Angabe (s. o. S.
19 f.*), daß M. im J. 144 seine Kirche in Rom begründet
hat, also wenige Jahre vorher dorthin gekommen ist ². Da wir aus
Tert. wissen, daß die römischen Marcioniten jenes Datum
aus M.s Leben festgelegt haben, so ist es möglich, daß
auch die Datierung „Erstes
—————
¹ Ein Skeptischer könnte mit I t t i g in
der Notiz eine
Verwechslung sehen, die aus Iren. I, 23, 1 entstanden sei, wo es
von der Karpokratianerin Marcellina heißt: „Marcellina, quae
Romam sub Aniceto venit, cum esset huius (Carpocratis) doctrinae,
multos exterminavit” (vgl. Epiph., haer. 27, 6): allein eine solche
Annahme liegt doch nicht nahe; auch ist das Akumen „praemisit” nicht
gedeckt.
² Ephraem (24. Lied gegen die Ketzer, e. 10)
bemerkt, daß man zur Zeit, als nach der Zerstörung des
Tempels in Jerusalem eine Kirche begründet wurde, von M. noch
nichts wußte.
30*
Beilage
I: Untersuchungen
über die Person und die Lebensgeschichte Marcions
Jahr des Antoninus Pius” von
ihnen stammt, und sie kann dann schwerlich etwas anderes bedeuten als
die Ankunft ihres Meisters in Rom. Allerdings heißt es in der
Edessenischen Chronik, daß M. in diesem Jahre aus der
katholischen Kirche ausgeschieden sei; aber das ist wohl eine
Verwechslung. Will man das nicht annehmen, so muß man das Jahr
138/9 gegenüber dem J. 144 preisgeben.
Über die Bildung M.s läßt sich
Näheres nichts ermitteln, als was Kap. 2
bereits dargelegt ist. Tert.s Wort (III, 6): „Haeretica dementia
coacta est cum Iudaico errore sociari et ab eo argumentationem sibi
struere“, ist aller Wahrscheinlichkeit so zu verstehen, daß der
„Judaicus error” eine bleibende Voraussetzung seiner neuen Erfassung
des Christlichen gewesen ist. Mit Recht wundert sich Tert. (l.
c.), daß M. so fast zeitlebens bei dem jüdischen
Verständnis des A. T. geblieben ist und nennt die Juden „partiarii
erroris Marcionis” (III, 16).
—————
Letzte
Änderung am 2. Januar 2018