ADOLF
VON HARNACK
MARCION: DAS
EVANGELIUM VOM FREMDEN GOTT
Kapitel VIII, Seite
153—196
153
VIII. Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche. Die theologischen Schulen in
ihrer Mitte und die Sekte des Apelles.
l.
Die äussere Geschichte ¹.
Von der äußeren Geschichte der
Marcionitischen Kirche wissen wir wenig. Die Angabe Justins, daß
M. selbst seine Lehre bereits „in dem ganzen Menschengeschlecht“
verbreitet habe, bestätigt sich durch die Zeugnisse, die wir in
bezug auf die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts für
Asien, Lydien, Bithynien, Korinth, Kreta, Antiochien, Alexandrien, Rom,
Lyon und Karthago besitzen. (Tert. V, 19: „Marcionis traditio
haeretica
totum implevit mundum“). Überall schrieb man hier gegen die
entsetzliche teuflische Sekte, die schon im zweiten Jahrhundert ihre
Lehre auch in der lateinischen Sprache verkündigte, und
spätestens seit Anfang des dritten auch in der syrischen ².
Celsus, der griechische Römer, der als erster gründliche
Kenntnis des Christentums verrät, hat die Marcionitische Kirche
ebenso studiert wie ihre Gegnerin, die katholische. In der Folgezeit
trifft man jene überall an, wohin sich das Christentum
verbreitete; die Aufzählung bei Epiphanius (haer. 42, 1:
Marcioniten in Rom, Italien, Ägypten, Palästina, Arabien,
Syrien, Cypern, Thebais, Persien und anderen Gegenden) ist daher
unvollständig. Weit entfernt, sich sektenhaft gegen die
große Kirche abzuschließen, haben die Marcioniten stets
versucht, auf diese missionierend einzuwirken und die ganze
Christenheit in sich aufzunehmen. In bezug auf keine andere
häretische Gemeinschaft hören wir soviel von ihren
persönlichen Berührungen mit Andersgläubigen. Wie
M. selbst an Polykarp und die römischen Presbyter
herangetreten ist, so sind persönliche Berührungen, bzw.
Disputationen mit Rhodon in Rom, Tertullian, Origenes, Bardesanes,
Adamantius, Ephraem, einem unbekannten Syrer, Hieronymus, Chrysostomus
und Esnik überliefert oder zu erschließen.
—————
¹ Die Belege, soweit sie hier
nicht
mitgeteilt sind, findet man in der Beilage S. 314 ff*.
² Es wäre ein Irrtum, wollte man aus
Tert.
III, 12 herauslesen, daß es auch Marcionitische
Hebraei-Christiani gegeben hat.
154
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Ihre Gemeindegottesdienste
standen jedermann offen, auch den Heiden, und in den Städten und
auf dem Lande sah man ihre Kirchengebäude: Origenes spricht schon
von ihnen (Fragm. XIII in Jerem. p. 204); im Dorfe Lebaba bei Damaskus
stand i. J. 318 eines, und der Bischof Cyrill von Jerusalem warnt die
Gläubigen daß sie nicht, wenn sie in einer Stadt unbefangen
nach der „Kirche“ fragen, in eine Marcionitische geraten. In der
Organisation und im Gottesdienst waren die Marcionitischen
Gemeinschaften den katholischen so ähnlich, daß die
Unkundigen leicht getäuscht werden konnten. Hier begegnet einem
ein Marcionitischer Bischof, dort ein Presbyter ¹; von Jesus
Christus und Paulus konnte nirgendwo mit größerer Devotion
gesprochen und gepredigt werden als hier, und der Sonntagskultus
scheint in den Gemeinden M.s nicht wesentlich anders verlaufen zu
sein als in den großen Kirchen ². Dabei verbargen die
Marcioniten aber nicht, wie manche Gnostiker, daß sie Marcioniten
waren und heißen wollten. Zahlreiche Gegner haben ihnen
vorgeworfen, daß sie sich nach ihrem menschlichen Stifter nennen,
und machten ihnen das zum schweren Vorwurf; sie aber blieben dem Namen,
den sie gleich anfangs angenommen hatten, treu und setzten ihn sogar
auf ihre Kirchengebäude (s. die Inschrift von Lebaba S. 341* f.).
In dem
Menschenalter zwischen 150 und 190 war die Gefahr, welche diese Kirche
für die Christenheit bildete, am größten — i
n d i e s e r Z e i t w a
r s i e u n d s i e a l
l e i n
w i r k l i c h G e g e n k i r c h e: aus der Fülle
der Gegenschriften
folgt diese Beobachtung, ferner aus der Art der Bekämpfung seitens
Justins, und auch aus dem Werk des Celsus kann man es herauslesen.
Jener rechnet Marcion zu den dämonischen neuen Religionsstiftern
in christlicher Verbrämung; dieser spricht manchmal so, als
gäbe es nur die zwei Kirchen, die „große“ und die
Marcionitische, und neben ihnen nur gnostisches Gestrüpp. Als dann
—————
¹ Der Marcionitische Bischof Asklepius in der Gegend von
Cäsarea Pal. z. Z. des Kaisers Daza (Euseb., De mart. Pal. 10,
3), der Marcionitische Presbyter Metrodorus in
Smyrna z. Z. des Decius (Mart. Pionii 21), der Marcionitische Presbyter
Paulus in Lebaba im Hauran (Inschrift). Bischöfliche Sukzessionen
bei den Marcioniten erwähnt Adamant. I, 8: Ἐξ ὅτου Μαρκίων
ἐτελεύτησε, τοσούτων ἐπισκόπων, μᾶλλον δὲ ψευδεπισκόπων, παρ’ ὑμῖν
διαδοχαὶ γεγόνασιν.
²
S. S. 144 f. das Zeugnis
Tertullians.
155
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Irenäus, Clemens,
Tertullian und Hippolyt zur Feder griffen, war die Situation für
die Kirche zwar noch immer höchst gefährlich — Irenäus,
der hauptsächlich gegen die Valentinianer schreiben will, schreibt
vom II.—V. Buch in Wahrheit mehr gegen die Marcioniten, und Tertullians
Werk gegen diese ist neben dem Apologeticus das Hauptwerk des eifrigen
Polemikers —; allein die Gefahr, von den Marcioniten überrannt zu
werden, die einst bestanden haben muß, war nicht mehr vorhanden.
Dies beweist schon die Art, wie sie von und seit Irenäus in die
Ketzerkataloge neben und zwischen den Gnostikern, Valentinianern,
Ebioniten usw. eingeordnet wurden, während Justin alle Ketzer als
Abkömmlinge von Simon Magus, Menander und Marcion beurteilt hat.
Aber noch Origenes hat in Marcion den Hauptgegner der Kirche gesehen
und sich mit allem Fleiß und ganzer Kraft in den Kampf gegen die
„doctrina Marcionis“ geworfen, die er scharf von der „longa
fabulositas“ des Basilides und den „traditiones“ Valentins
unterscheidet ¹. Er und die großen altkatholischen Theologen
vor ihm haben neben den alten und den neugeschaffenen Autoritäten,
die sie ins Feld führten, doch auch die geistigen Waffen
geschmiedet mit denen sie dem Marcionitismus begegneten. Die kirchliche
Theologie, die sie ausbildeten und die heute noch die Lehrgrundlage der
großen Konfessionen ist, ist in viel höherem Maße eine
antimarcionitische als eine antivalentinianische oder antiebionitische.
Man darf auch unbedenklich annehmen, daß diese Theologie einen
großen Anteil an der Zurückdrängung der Marcionitischen
Kirche gehabt hat ².
—————
¹ Natürlich behandelt auch er die Kirche M.s wie eine
„schola“, um sie verächtlich zu machen (s. z. B. Comm. I, 18 in
Rom., T. VI p. 55: „M. et omnes, qui de schola eius velut
serpentium germina pullularunt“); hat doch Hippolyt sogar in der
römischen Gemeinde unter dem Episkopat des Kallist nur eine
„Schule“ gesehen.
² Die Quellen geben keine Antwort auf die
Frage, worauf die Anziehungskraft des Marcionitismus hauptsächlich
beruht hat; wir sind daher auf Vermutungen angewiesen: wahrscheinlich
war es die Paradoxie der Kombination der Verkündigung des
ausschließlich guten Gottes, Christus, mit der Verwerfung des AT,
mit einer Askese, die zum Übermenschentum zu führen
verhieß, und mit dem grimmen Abscheu vor der „Welt“, über
die man sich hocherhaben fühlte. — Über den Einfluß
M.s auf die werdende katholische Kirche s. das nächste
Kapitel.
156
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Spätestens nach der Mitte des 3. Jahrhunderts setzte im Abendland
der Rückgang der Bewegung ein. Zwar ist noch im Ketzertaufstreit
augenscheinlich die Marcionitische Taufe die eigentlich umstrittene
gewesen; allein die Haltung Cyprians läßt schließen,
daß die Marcionitische Gefahr in Afrika längst nicht mehr so
groß war wie zu Tertullians Zeit und wie vielleicht damals noch
in Rom (vgl. Novatians Werk de trinitate; auch der römische
Bischof Dionysius bezieht sich noch an hervorragender Stelle auf die
Marcioniten). Dann dauerte es im Abendland nur noch hundert Jahre und
der Marcionitismus hatte ausgespielt. In Afrika war nach dem Zeugnis
des Optatus selbst der Name vergessen, und selbst in Rom gab es nach
dem Zeugnis Ambrosiasters nur noch kümmerliche Reste von ihm
¹. Was sich nach dem J. 400 noch gegen ihn rührt, kennt ihn
entweder nur literarisch — man kam ja gerne bei der Bekämpfung
neuer Häresien (Manichäer, Priscillianer usw.) auf die alten
zurück — oder sah sich durch ein singuläres Aufflackern der
alten Sekte zu einer Bekämpfung veranlaßt (Pseudotertullians
Carmen adv. Marc.?) ². Die Reste des Marcionitismus hat
im Abendland sicher der Manichäismus aufgenommen, nachdem er ihn
ausgesogen hatte, und auch die kurzlebige Bewegung des Patricius in
Rom, eine Art von Neu-Marcionitismus, mag zu seinem Verschwinden
beigetragen haben ³.
Aber im Orient, von wo er ausgezogen ist und wohin
er trotz seines Agnostizismus gehört, hat der Marcionitismus noch
eine lange Geschichte gehabt. Gedrückt und demütig, wie der
—————
¹ Man darf sich durch Hieronymus’ Polemik nicht täuschen
lassen; er schreibt die ältere Polemik ab, und er ist nicht nur
ein lateinischer, sondern auch ein griechischer Christ.
² Seltsam ist es, daß die Erinnerung an
den Marcionitismus im Abendland dadurch am längsten wach erhalten
worden ist, daß man die „Sabellianer“, deren Lehre dort sich noch
immer regte, zur Abschreckung mit ihnen zusammenstellte.
³ S. S. 390* f. 424* ff. — Daß der
Manichäismus den viel tieferen und geistigeren Marcionitismus
allmählich verdrängte, läßt sich aus dem
Rückgang der allgemeinen Kultur erklären, dem auch die
religiöse folgte. In der Organisation der Manichäischen
Kirche gegenüber der Marcionitischen steckte außerdem noch
eine besondere Anziehungskraft.
157
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Stifter
es verlangte ¹
und durch Martyrien in den großen Verfolgungszeiten bewährt
², trat die Kirche M.s dort als eine große und starke
Gemeinschaft in das konstantinische Zeitalter ein, die noch immer eine
bedeutende Propaganda machte ³. Man beobachtet jedoch, daß
sie im Laufe des 4. Jahrhunderts allmählich in Ägypten und
dem westlichen Kleinasien verdrängt wurde, in dem griechisch
sprechenden Syrien bald darauf, namentlich durch die Bemühungen
des Chrysostomus, der aber beiläufig berichtet (S. 368* f.),
daß in Antiochia zu seiner Zeit ein hoher Beamter und seine Frau
Marcioniten waren. Dagegen erhielt sie sich in Cypern und
Palästina länger, und in dem syrischen Syrien ist sie (bis
nach Armenien und Persien hin) wahrscheinlich an Bedeutung noch
gewachsen. In Cypern (s. S. 367*: die Stadt Salamis dort war von
Marcioniten geradezu belagert) war sie besonders stark, in
Palästina nicht minder (Cyrill von Jerus.). In der syrischen
Stadt Laodicea sah man sich noch um die Mitte des 4. Jahrh.
genötigt, in den ersten Artikel des Glaubensbekenntnisses die
Worte aufzunehmen: τὸν θεὸν τοῦ νόμου καὶ εὐαγγελίου, δίκαιον καὶ
ὰγαθόν (S. 353*), und die großen Bischöfe Antiochiens bis
Nestorius führten einen unausgesetzten Kampf gegen die
gefährliche Sekte. Aber die Bedrohung dieser Kirchengebiete
erscheint doch gering — soviel Sorge uns auch noch aus dem
umfangreichen Kapitel des Epiphanius gegen die Marcioniten
entgegentritt — gegenüber dem nationalsyrischen Gebiet, das in
Edessa sein Zentrum hatte. Aus den Werken Ephraems
—————
¹ Celsus berichtet, die Marcioniten hätten sich selbst
„σκύβαλα“ genannt (nach Phil. 3. 8).
²
S. S. 315* f. 348*; zu den Marcionitischen Märtyrern Metrodorus
(Presb.) und Asklepius (Bischof) kommt noch in der Valerianischen
Verfolgung ein Weib (Euseb., h. e. VIII, 12) in
Cäsarea Pal.
³ Die Frage, ob zu den Voraussetzungen der Lehre Manis selbst der
Marcionitismus gehört, d. h. ob Mani die Schriften Marcions
gekannt und ausgebeutet hat, ist noch nicht spruchreif, aber
wahrscheinlich ist sie zu bejahen. Ist sie zu verneinen, so ist doch
gewiß, daß bereits am Anfang des 4. Jahrhunderts (s. die
Acta Archelai) die Manichäer sich M.s Beurteilung des
Gegensatzes von Jesus und dem AT. zunutz gemacht und die „Antithesen“
reichlich ausgebeutet haben (s. Beilage VI, S. 349* f.). Gegen die
Bardesaniten hat Mani drei Schriften innerhalb des „Buchs der
Geheimnisse“ verfaßt, (s. F l ü g e l,
Mani S. 102). Marcions
Name kommt in der Überlieferung über Mani nicht vor.
158
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
u.
a. gewinnt man den
Eindruck, daß die Marcionitische Gefahr dort der
Manichäischen nichts nachgab, ja sie noch übertraf.
Marcioniten, die „den Fremden“ anbeteten, und Manichäer — zuerst
von Eusebius zusammengestellt (s. S. 348*) — sind im Orient viele
Menschenalter lang getrennt marschiert, indem jene sich ihrer Eigenart
voll bewußt blieben, aber galten der katholischen Kirche als sehr
verwandte Brüder. Erst seit der Mitte des 5. Jahrhunderts ist der
Marcionitismus auch dort zurückgetreten, nachdem sich namentlich
Rabbulas um seine Bekämpfung bemüht hatte (s. S. 362*), und
in seiner Diözese Cyrus Theodoret. Dieser berichtet triumphierend
in seinen Briefen, er habe acht Marcionitische D ö r f
e r bekehrt und
überhaupt T a u s e n d e, j a
Z e h n t a u s e n d e von Marcioniten (s. S. 369* f.).
Marcionitische D ö r f e r
— diese Angabe darf nicht übersehen werden und führt uns auf
die Stellung der Staatsgewalt zu den Ketzern. Bis zur Zeit des
Konstantin machte diese bekanntlich unter den Christen keinen
Unterschied, und die Toleranzedikte von Mailand und Nikomedien kamen
daher auch den Häresien zu gut. Die Kircheninschrift von Lebaba
(s. S. 341* f.) im Gebiet des Licinius zeigt uns, daß die
Marcionitische Gemeinde dort im J. 318/9 ein Kirchengebäude mit
einer Inschrift errichten konnte, auf der die Besitzerin des
Gebäudes jedermann kundgetan war. Aber die Freude dauerte nicht
lange. Bereits Konstantin begann damit, die häretischen
Zusammenkünfte zu verbieten, die Versammlungshäuser zu
zerstören, selbst die Gottesdienste in den Privathäusern zu
untersagen, die Grundstücke einzuziehen und die ketzerischen
Bücher zu konfiszieren. Obschon diese Bestimmungen ein halbes
Jahrhundert lang sehr mangelhaft durchgeführt wurden, blieben sie
doch nicht ganz ohne Wirkung. Der Prozeß der Zurückziehung
der Ketzer aus dem Westen in den Osten und aus den Städten auf das
Land muß schon damals in einzelnen Gegenden kräftig begonnen
haben. Mit den Edikten des Gratian und Theodosius setzte aber die
unnachsichtliche Verfolgung der von den großen Bischöfen
aufgestachelten Staatsgewalt ein. Staat und Kirche im Bunde waren zu
vollkommener Unterdrückung der Häresien entschlossen und
trafen die entsprechenden Maßnahmen. Jetzt erfolgte die
„Landflucht“ im großen Stil — denn auf dem Lande
159
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
war
die Staatsgewalt gegen die
Heiden und die Ketzer nachsichtiger —, soweit die Unglücklichen
ihren Glauben nicht schon scharenweise unter dem doppelten Druck
abgeschworen hatten: „Gott sandte zu ihnen F u r c h t
vor dem h. Rabbulas, und sie
nahmen gläubig die Wahrheit an, indem sie ihren Irrtum
ableugneten“. Nicht nur der h. Rabbulas, sondern auch die anderen
großen Bischöfe hatten handgreifliche Waffen zu ihrer
Verfügung und drangen nun auch in die ländlichen Bezirke ein.
Wenn Theodoret acht Marcionitische Dörfer in seiner Diözese
bekehren konnte, so zeigt das die soziale Gruppierung der Häresie,
wie sie sich seit einem Jahrhundert vollzogen hatte, ihre noch
bestehende äußere Stärke, aber zugleich ihre mangelnde
Widerstandskraft. Der Rückzug auf das Land wird schon in
vorkonstantinischer Zeit begonnen haben. Nicht nur die Existenz einer
Marcionitischen Gemeinde in Lebaba im Hauran spricht dafür,
sondern noch mehr, daß sie sich eine Inschrift in g r
i e c h i s c h e r Sprache gesetzt hat.
Man sprach dort nicht griechisch; also waren die Marcioniten daselbst
griechische Ansiedler, die sich in diese abgelegene Gegend
zurückgezogen hatten; ja es ist sehr wohl möglich,
daß d a s g a n z e Dorf
Marcionitisch war
(s. S. 342* f.). Dies war der Fall bei den acht Dörfern, die
Theodoret bekehrt hat. Also zog man sich nicht nur auf das Land
zurück, sondern die Marcioniten bildeten daselbst auch
g e s c h l o s s e n e A n s i e d l u n g e n.
Ihre
schroffe Stellung zur Welt erklärt das sehr wohl, auch wenn man
nicht an den ersehnten Schutz vor Verfolgungen denkt: sie vermochten so
ihre Eigenart besser zu bewahren. Allein jede religiöse Sekte, die
sich genötigt sieht, die Städte zu verlassen, muß
notwendig verbauern, und wenn sie dadurch auch eine gewisse
Zähigkeit in der Behauptung ihrer Überlieferungen
empfängt, so büßt sie doch an geistiger
Widerstandskraft ein und muß schließlich erliegen. So ist
es auch der Marcionitischen Kirche im Osten ergangen. Übrigens hat
sie dem Manichäismus gegenüber hier lange Zeit hindurch noch
eine beachtenswerte Selbständigkeit bewährt ¹, konnte
aber nach der Mitte des 5. Jahrhunderts im Vergleich mit ihm
wahrscheinlich nur noch eine unbedeutendere
—————
¹ Der „Fihrist“ (s. S. 384* f.) bezeugt ihre größere
Christlichkeit gegenüber den Manichäern.
160
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Rolle
spielen. Daß sie
ihm näher rückte, zeigt vor allem auch (nach dem „Fihrist“)
die ganz nahe Verwandtschaft ihrer besonderen (den persischen und
syrischen Buchstaben nachgebildeten) Schriftcharaktere mit den von Mani
(bzw. den Manichäern) aus diesen Alphabeten entwickelten
eigentümlichen Buchstaben (s. S. 385* ¹.)
Was sich über den Ausgang des Marcionitismus im
Osten ermitteln läßt (insonderheit über das
Verhältnis zu den Paulizianern), ist in der Beilage (S. 381* ff.)
zusammengestellt. Der Verfasser des „Fihrist“ hat im J. 987/8 nur im
fernen Osten noch Marcioniten konstatieren können, nämlich im
Gebiet zwischen dem Kaspischen Meer und dem Oxus: „sie verkriechen sich
hinter das Christentum“. Seine Nachrichten aber über die Sekte und
ihre Lehre beruhen vielleicht nicht auf zeitgenössischer Kunde,
sondern auf literarischer Überlieferung.
2.
Die innere Geschichte.
Marcion, der Kirchenstifter, hat als
grundsätzlicher Biblizist und Gegner aller Philosophie kein
philosophisch-theologisches System aufgestellt und nicht als
Systematiker „Prinzipien“ gelehrt, sondern den guten Gott in Christus
verkündet, die Erlösung gepredigt und den gerechten Gott der
Welt und des Gesetzes entlarvt. An den einen, den Fremden, soll man
glauben und dem andern, der hinreichend bekannt ist, den Gehorsam
versagen ². Gewiß sind im Sinne M.s beide Götter,
aber sehr ungleiche Götter, da der zweite mit seinem Himmel und
seiner
—————
¹ Haben die Marcioniten eine mit der Manichäischen fast
identische Geheimschrift angenommen, so ist das nicht nur ein Beweis
dafür, daß sie sich dem Manichäismus sehr stark
genähert, sondern auch, daß sie ihre ursprüngliche
Öffentlichkeit aufgegeben haben; denn eine Geheimschrift
wählt man nur, wenn man nur von Auserwählten gelesen sein
will.
² Treu hat der älteste Berichterstatter, Justin, M.s
Lehre wiedergegeben, sofern er überhaupt nicht von Prinzipien
(ἀρχαί) bei M. spricht, sondern einfach von zwei Göttern, dem
Weltschöpfer und dem anderen, guten Gott; aber auch Tert.
spricht fast ausnahmslos von Göttern und nicht von Prinzipien.
Jedoch hat M. den Ausdruck ἀρχαί nicht durchweg vermieden (er
brauchte ihn um der Materie willen); das ergibt sich aus dem Zeugnis
seines Schülers Apelles (bei Anthimus von Nikomedien; s. S. 419*
a).
161
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Erde
untergehen wird, also
keine Ewigkeit besitzt. Daher kann man nur mit bedingtem Rechte sagen,
M. habe zwei „Prinzipien“ gelehrt; in gewissem Sinne ist das
zuviel gesagt und zugleich zuwenig; denn e w i g e r
Gott ist nur e i n e r, und ungeschaffene Wesen gibt
es nach ihm d r e i, da auch die
Materie, aus welcher der gerechte Gott die Welt geschaffen hat,
ungeschaffen ist. Zwar spielt sie in seinen rein biblischen Darlegungen
als handelndes Prinzip durchaus keine Rolle; aber sofern alles
Stoffliche und Leibliche von ihr herrührt und die Schöpfung
des Schöpfers noch schlimmer gemacht hat, hat sie als φύσις doch
im Ganzen der Schöpfung eine große Bedeutung.
Man versteht es von hier aus, daß auch solche
Gegner, welche die eigene Lehre M.s und nicht die späterer
Marcioniten ins Auge gefaßt haben, schwanken konnten, ob sie bei
der Zusammenfassung ihm zwei oder drei „Prinzipien“ beilegen sollten.
Dieses Schwanken aber mußte sich durch einen Blick auf die
Entwicklung der Marcionitischen Kirche verstärken.
Das Wichtigste in dieser Entwicklung nämlich
war, daß die Marcionitische Kirche zwar den Charakter und Geist,
den ihr der Stifter gegeben, streng und treu festhielt und
mit e i n e r Ausnahme (Apelles) keine
Spaltung in ihrer Mitte aufkommen ließ, daß sich aber schon
bald nach dem Tode des Meisters theologische S c h u l e n
auf ihrem Grund und Boden
bildeten. Hierin zeigt sich wiederum, daß der Marcionitismus eine
der großen Kirche ebenbürtige Erscheinung gewesen ist; denn
auch in dieser bildeten sich ja schon seit der zweiten Hälfte des
zweiten Jahrhunderts Schulen (die älteste uns bekannte ist die des
Justin), die sich bald untereinander zu streiten begannen, deren
Mitglieder aber deshalb nicht aufhörten, treue Kinder der
großen Kirche zu sein ¹.
—————
¹ Daß diese Schulen in einigen Fällen doch schismatisch
oder gar häretisch wurden, und daß der offiziellen Kirche
die ganze Schulbildung im der Regel verdächtig gewesen ist, daran
soll hier nur erinnert werden. Das große Problem von Kirche und
Theologie hat hier begonnen, welches in allen seinen
Entwicklungsstadien immer so geendigt hat, daß die Kirche zwar
theologischer wurde, aber zugleich die selbständige Theologie
immer heftiger ablehnte. Ob es in den Marcionitischen Kirchen
ähnlich zugegangen ist, wissen wir nicht; aber es ist nicht
wahrscheinlich; denn diese Kirchen waren nicht auf eine Schul- und
Prinzipienlehre gestellt; wir hören
162
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Die Einheit
der Marcionitischen Schulen war (1) in der Anerkennung der von dem
Stifter zusammengestellten Bibel (die „Antithesen“ eingeschlossen), (2)
in der Verwerfung des Schöpfers und des ATs, (3) in der
Verkündigung von dem in Christus zur Erlösung
erschienenen, f r e m d e n Gotte und (4) in der
strengen Askese gegeben ¹, sowie endlich (5) in der
Hochschätzung des Meisters ². In diesen Stücken gewahrt
man innerhalb der Kirche,
—————
auch nichts von
Streitigkeiten in ihr, und nach den Dialogen des Adamantius stehen die
beiden Marcioniten Megethius und Markus friedlich nebeneinander,
obgleich der eine die Drei- und der andere die Zweiprinzipienlehre
vertritt.
¹
Auf diese Punkte bezieht es sich also nicht, wenn Tert. (de
praescr. 42) schreibt, daß die Marcioniten „etiam a regulis
suis
variant inter se, dum unusquisque proinde suo arbitrio modulatur quae
accepit ... idem licuit Marcionitis quod Marcioni, de arbitrio suo
fidem innovare“, sondern auf die Prinzipienlehre und verwandte Fragen.
² Die Hochschätzung des Meisters, der selbst für sich
keinen Titel in Anspruch genommen hat, zeigt sich in der einstimmig
bezeugten Fortführung und Hochhaltung der einzigen
Selbstbezeichnung „Marcioniten“ (vgl. u. a. die Inschrift von Lebaba),
ferner in der Prädizierung Marcions als des Bischofs κατεξοχήν
(Megethius bei Adamant. I, 8; ob allgemein?), weiter in der
Aufstellung einer Marcionitischen Ära (Tert. I, 19), endlich
in
der Glaubensvorstellung, daß im Himmel zur Rechten Christi Paulus
sitze und zur Linken Marcion (Orig., Hom. XXV in Luk., T. V p. 181;
diese Vorstellung spiegelt sich in der dreizeiligen Inschrift von
Lebaba wider: auf der ersten Zeile liest man Marcions Namen, auf der
mittleren den Jesu Christi, auf der dritten den Namen Paulus, wenn auch
als Namen eines Marcionitischen Presbyters). Doch hat M. in seiner
Gemeinde den Namen „Apostel“ mindestens zunächst nicht erhalten;
der Biblizismus verbot das. Es ist Tert. der IV, 9 schreibt:
„Christus Marcionis habiturus apostolum quandoque nauclerum Marcionem“;
aber er selbst weiß nichts davon, daß M. als Apostel
bei den Seinen gegolten hat; sonst hätte er de carne 2 nicht
schreiben können: „Exhibe auctoritatem; si propheta es, praenuntia
aliquid, si apostolus, praedica publice“. Vollends ist es nur ein
polemischer Fechterstreich, wenn Ephraem (Lied 56) schreibt: „Bei den
Marcioniten heißt es nicht: So spricht der Herr, sondern: So
spricht Marcion“. Dennoch konnte es die Marcionitische Kirche nicht
anders ansehen, als daß ihr Stifter in die Heilsgeschichte im
weiteren Sinn des Worts gehört; denn die Christenheit wäre
nach ihrem zweiten Sündenfall, den sie durch
Mißverständnis und Abfall von Paulus begangen hat (der erste
liegt zwischen Christus und Paulus), in die Anbetung des
Schöpfergottes zurückgefallen, hätte sie nicht M.
wieder auf den richtigen Weg gebracht.
163
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
solange
sie bestanden hat,
keine Veränderung und kein Schwanken. Dagegen mußten sich
Verschiedenheiten einstellen, sobald man die biblisch
expressionistische Verkündigung M.s theologisch zu
systematisieren versuchte. Alsbald mußte sich zeigen, daß
der Stifter hier der Theorie Lücken und ungelöste Probleme
zurückgelassen hatte. Sie bezogen sich auf die Zahl der Prinzipien
und ihr gegenseitiges Verhältnis, auf die Natur des Gottes dieser
Welt, auf die Entstehung der Sünde und auf die Person Christi.
Eine Theologie im Sinne einer rationalen Religionsphilosophie vertrug
diese Religionsverkündigung letztlich ebensowenig wie die sog.
„apostolische“, obgleich sie als Religion ungleich einheitlicher und
geschlossener war als diese; daher mußten sich Verschiedenheiten
einstellen, sobald hier theologische Schulen entstanden.
Rhodon in Rom gegen Ende des 2. Jahrhunderts, zwei
oder drei Jahrzehnte nach Marcions Tod, ist der erste, der uns von den
Marcionitischen Schulen und der Abspaltung des Apelles berichtet. Mit
diesem hat er selbst einen Disput gehabt und auch Anhänger des
Marcionschülers Synerus sind ihm persönlich bekannt geworden;
direkt von ihnen hat er die Nachricht über die Sondermeinung ihres
Lehrers erhalten. Der Bericht bestätigt zunächst auch sonst
Bekanntes und gibt dann folgendes Bild: E i n e
„unhaltbare Meinung“
beherrscht alle Marcioniten und hält ihre Herde zusammen. Da diese
nicht in der Prinzipienlehre zu suchen ist, so muß sie in den
anderen (oben genannten) Stücken liegen, d. h. vor allem in der
Überzeugung von der E r l ö s u n g
durch den fremden Gott. Auf diesem Grunde aber erhoben sich
theologische Meinungsverschiedenheiten — Rhodon sagt, die richtige
διαίρεσις τῶν πραγμάτων wurde verkannt ¹ —, die zur Schulbildung
auf Grund einer Zweiprinzipien-
—————
M. wird in
seiner Kirche fort und fort mindestens die Rolle gespielt haben, die
einige Dogmatiker des 17. Jahrh. Luther zubilligten, wenn sie ihm einen
besonderen Artikel „De vocatione Lutheri“ widmeten. Darüber hinaus
berichtet e i n später
Zeuge, Maruta — sicher übertreibend —: „Statt des Petrus haben sie
sich gesetzt als Haupt der Apostel den Marcion“.
¹ Der Ausdruck διαίρεσις ist zunächst
technisch für die Einteilung der Rede; aber hier ist das Wort auf
Dinge, bzw. Tatsachen, nämlich auf die gesamten Welterscheinungen
angewendet, und das ist nicht nur hier geschehen, s. die
philosophisch-kosmologische Anwendung in Athenag.,
164
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
lehre (Potitus und Basilikus)
und einer „noch schlimmeren“ Dreiprinzipienlehre, bzw. Dreinaturenlehre
(Synerus) führten. Leider gibt Rhodon Näheres nicht an. Ob
jene genau so wie der Marcionit Markus (bei Adamantius) lehrten, dieser
aber wie der Marcionit Megethius (ebendort), ist nicht festzustellen.
Was
die Quellen betrifft, so geben Justin, Irenäus, Tertullian,
Clemens, Hippolyt (Ref. X, 19 init.), Origenes und Ephraem die genuine
Verkündigung M.s wieder. Der Marcionit Markus lehrt eine
Zweiprinzipienlehre, aber sie ist nicht mehr die genuine; denn er
unterscheidet zwar die beiden Götter als den Erlöser und als
den Schöpfer und Richter, sagt auch zutreffend, daß die
Menschen an diesem Gott gesündigt haben, der Erlöser ihnen
aber ἀμνηστία und ἄφεσις bringe ¹, bezeichnet aber den
—————
Suppl. 10, 3; 12,
2; Tatian, Orat. 12, 1; vielleicht mit Recht hat ihn S c h
w a r t z auch in
Tatian 5, 2 für αἵρεσις gesetzt (Orig., De orat. 3 schreibt: Πᾶν
σῶμα διαίρετόν ἐστιν, und Athenag. 4, 1: Ἡμῖν διαιροῦσιν ἀπὸ τῆς ὕλης
τὸν θεὸν καὶ δεικνύουσιν ἕτερον μέν τι εἶναν τὴν ὕλην, ἄλλο δὲ τὸν
θεόν). Wenn Rhodon sagt, jene Marcionitischen Schulhäupter
hätten die διαίρεσις der in der Welt gegebenen Tatbestände
nicht finden können, so kann das nur ein verkürzter Ausdruck
dafür sein, daß sie den G r u n d der
Verschiedenheiten nicht
fanden. Hier kann es sich nur um die letzte und tiefste διαίρεσις
handeln, um die Frage von gut und böse, bzw. um die Frage: „Unde
malum?“ (Das bezeugt auch Tert. 1, 2 für M.; aber man
darf
vermuten, daß er es von Marcionitischen Theologen gehört und
mit genuin Marcionitischem vermengt hat; denn M. selbst hat nicht
Probleme aufgeworfen und beantwortet, sondern, unbekümmert um die
Probleme, Impressionen wiedergegeben: „Languens circa mali quaestionem,
unde malum, et obtunsis sensibus ipsa enormitate curiositatis inveniens
creatorem pronuntiantem: ,Ego sum qui condo mala‘ “ etc.). Dieses
Problem vermochten sie durch die kirchliche Lehre von dem e
i n e n Gott
nicht zu lösen und wandten sich nun der schnellfertigen
Entscheidung (ἐπὶ τὴν εὐχέρειαν ἐτράποντο) zu, man müsse das
Gottwidrige auf ein zweites Prinzip zurückführen. Auch diesen
Schulhäuptern aber hat Rhodon den Vorwurf gemacht, den schon
Justin dem M. selbst entgegengehalten hatte, daß sie ψιλῶς
καὶ ἀναποδείκτως (Justin: ἀλόγως) lehren, d. h. daß sie
philosophische Vertiefung und wirkliche Beweisführung (sei es
durch ratio, sei es durch auctoritas) vermissen lassen.
¹
Im Sinne M.s ist es auch, wenn er sagt, daß der
Schöpfer s e i n e Gläubigen erlöst
(natürlich ist
diese Erlösung irdisch zu denken) und die Sünder richtet und
straft (Dial. II, 3 f.).
165
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Schöpfer nicht als
gerecht, sondern als πονηρός ¹ und behauptet ferner, sich weit von
M. entfernend und ein g n o s t i s c h e s
Hauptdogma aufnehmend, daß der Geist im Menschen bei der
Menschenschöpfung vom guten Gott eingeflößt worden sei
und daß nur dieser Geist von ihm gerettet werde. (Rettung auch
der Seele wird ausdrücklich abgelehnt, da sie vom Demiurgen
geschaffen ist) ². Damit ist der Grundgedanke der Auffassung
M.s, daß der Mensch durch kein natürliches Band mit dem
Schöpfer verbunden ist, aufgehoben; doch hält Markus die
Ansicht fest, daß Christus von niemandem vorher geahnt worden ist
(Dial. II, 13 f: Ξένος ὁ Χριστὸς καὶ μηδὲ εἰς ἔννοιάν τινος πώποτε
ἀφιγμένος). Jene vermeintliche Korrektur ist aus rationalen
Gründen wohlverständlich und setzte zugleich an den beiden
schwachen Punkten in der Verkündigung M.s ein, daß der
gute Gott nicht den g a n z e n
Menschen rettet, obgleich das Seelisch-geistige ihm nicht näher
steht als das Leibliche, und daß der Demiurg bei M. ein
zwischen gerecht und lästig (als Quälgeist) schillerndes
Wesen ist. Der Marcionit Megethius (Dial. I, 3 f.) unterscheidet drei
ἀρχαί, den guten Gott, den Demiurgen (= den Gerechten = τὸν μέσον) und
den schlechten Gott (= den Teufel) und verteilt die drei ἀρχαί auf
Christen, Juden und Heiden. Einen schlechten Gott neben dem gerechten
hat M. nicht gekannt (Meg. substituiert ihn der
Materie), und die Heiden gehören ihm nicht zu einem Gott, sondern
sind vom Schöpfer abgefallene und in das Materielle und deshalb in
den Götzendienst
—————
¹ Markus ist also wirklich ein Vertreter des Dualismus ὁ ἀγαθός
> ὁ πονηρός (ohne Berücksichtigung der Gerechtigkeit) gewesen,
den Hippolyt leichtfertig dem M. selbst zugeschrieben hat. Des
Epiphanius unsinnige Mitteilung (s. S. 365*), M. habe den zwei
Prinzipien seines Meisters Cerdo (dem unsichtbaren guten Gott und dem
sichtbaren Schöpfergott) den Teufel hinzugefügt und zwar
als m i t t l e r e n zwischen den beiden,
bedarf keiner Widerlegung; denn an die „Feinheit“ ist doch nicht zu
denken, daß, sei es Epiphanius, sei es sonst jemand den Teufel
als m i t t l e r e n bezeichnet
habe, weil schließlich die zum Teufel Abgefallenen nach M.
noch gerettet werden, die Getreuen des Weltschöpfers aber nicht.
² Ὁ δημιουργός, ὅτε ἔπλασε
τὸν ἄνθρωπον καὶ ἐνεφύσησεν αὐτῷ, οὐκ ἠδυνήθη αὐτὸν τελεσφορῆσαι. ἰδὼν
δὲ ἄνωθεν ὁ ἀγαθὸς κυλιόμενον τὸ πλάσμα καὶ σκαρίζον, ἔπεμψεν ἐκ
τοῦ ἰδίου πνεύματος καὶ ἐζωογόνησε τὸν ἄνθρωπον. τοῦτο οὖν φαμεν
ἡμεῖς τὸ πνεῦμα, ὃ τοῦ ἀγαθοῦ θεοῦ ἐστιν, σώζειν (Dial. II, 8, vgl. die
gleiche Lehre Satornils).
166
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
versunkene Sünder. Die
drei ἀρχαί sind aber keineswegs nach Megethius „gleich“, sondern ἡ τοῦ
ἀγαθοῦ ἰσχυροτέρα (das ist genuin Marcionitisch). αἱ ἀτονώτεραι ἀρχαὶ
ὑπόκεινται τῇ ἰσχυροτέρᾳ, jedoch haben sie das, was sie getan
haben, n i c h t κατὰ βούλησιν τοῦ κρείττονος
getan. Dennoch rückt Meg. den „Mittleren“ (den Demiurg) sehr
viel näher an das gute Prinzip heran als Marcion selbst, wenn er
zu II Thess. 1, 6 f. (Dial. II, 6) bemerkt: Ἡ μέση ἀρχὴ ὑπακούσασα τῷ
ἀγαθῷ ἄνεσιν δίδωσιν, ὑπακούσασα δὲ τῷ πονηρῷ θλῖψιν δίδωσιν. Das kann
sich nur auf das Ende der Dinge beziehen; aber auch hier ist diese
Lehre für M. selbst falsch und beruht auf der Vorstellung, es
gebe nur e i n e ἄνεσις,
während M. das vorübergehende und mangelhafte
Refrigerium des Weltschöpfers von der Seligkeit, die nur der gute
Gott gewähren kann, scharf unterschieden hat. Die Schöpfung
ist nach Megethius so verlaufen (II, 6 f): Der Demiurg hat die Menschen
nach seinem Willen geschaffen; da sie aber schlecht gerieten, reute es
ihn und er wollte sie richten und vernichten; genauer: auch die Seele
des Menschen, die der Demiurg ihm eingeflößt, versagte ihm
im Paradiese den Gehorsam, und er verwarf sie; d e
r b ö s e G o t t z o
g s i e n u n a n s i c
h,
aber dann kam der gute Gott und erlöste voll Erbarmen die Seelen,
und befreite die böse gewordenen Menschen vom bösen Gott und
veränderte sie durch den Glauben und machte diese seine
Gläubigen zu Guten“. D i e s e
L e h r f a s s u n g z e i g t, d a
ß M e g. f ü r d i
e H e i d e n d a s
H a u p t i n t e r e s s e g e h a b t h a
t und die Juden weniger beachtete
(anders der Biblizist Marcion). Trotzdem aber blieb Meg. der Lehre
des M. darin treu, daß er den Kaufakt der Erlösung, den
er ausführlich wiedergibt, sich nicht zwischen dem guten Gott und
dem bösen abspielen läßt, sondern zwischen jenem und
dem gerechten Gott, der also als der rechtmäßige
Eigentümer der Menschen anerkannt bleibt. Nicht von der Sünde
(bzw. dem bösen Gott), sagt er ausdrücklich, hat uns Christus
nach Paulus erkauft, sondern vom Demiurg.
Drei
Prinzipien, bzw. Götter, legen den Marcioniten bei D i
o n y s i u s v o n R o m (τρεῖς
μεμερισμένας ύποστάσεις καὶ θεότητας s. S. 335* f), A t h a
n a s i u s (s. S. 350* f), C y r i l l
v o n J e r u s a l e m (s. Katech.
16, 3; aber 6, 16 spricht er nur vom Gegensatz des guten Gottes und des
Weltschöpfers, s. S. 351*), G r e g o r
v o n N a-
167
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
z i a n z (Korrekt: die beiden
Götter des A und NT, jedoch drei φύσεις ¹ So daß der
ATliche Gott, wie bei Megethius, als der Herr der „mittleren“ φύσις
erscheint; so wird wohl auch B a s i l i u s
zu verstehen sein, wenn er auch nur dem Gegensatz des A und NTlichen
Gottes bei M. Ausdruck gibt, s. S. 353*), M a r u t a
(„einen Guten, einen
Bösen und einen Gerechten, den Mittleren zwischen ihnen“, s. S.
363* f.) und A b u l f a r a d s c h
(Korrect: „Aequum, Bonum et Malum, Aequum autem opera sua in Malo, i.
e. Materia, exercuisse atque ex eo mundum condidisse“, s. S. 387*).
Diese Berichte enthalten eine Trübung der Lehre des Stifters und
gehen auf verbreitete Schulmeinungen zurück, wenn sie
rund d r e i
Götter annehmen und den gerechten Gott für den „M
i t t l e r e n“ erklären. Durch
letztere Präzisierung ² wird das Marcionitische Christentum
schwer verwundet oder vielmehr zum Vulgären abgestumpft; denn
sobald das Gerechte als das M i t t l e r e
erscheint, wie schon bei Megethius, nicht aber als der tiefste
Gegensatz zum Guten, ist der Marcionitismus in seiner Eigenart verletzt
und dem Gnostizismus und Manichäismus angenähert, mag man
auch sonst die Lehre des Meisters in Worten fortgeführt haben
³. In weiten Kreisen der Kirche wird sich diese Verschlechterung
wirklich vollzogen haben; denn an Erfindungen der Berichterstatter ist
nicht zu denken.
Die
Dreiprinzipienlehre des Megethius (Gut, Gerecht, Schlecht) findet sich
auch bei dem assyrischen Schüler M.s P r e p o n
(der z. Z. Hippolyts gegen
Bardesanes den Marcionitismus verteidigt hat, s. S. 333* f.), hier aber
mit der seltsamen und auf den Spruch: „Nur einer ist gut“,
begründeten Wendung, Christus sei als „der Mittlere“, wie ihn
Paulus bezeichne, zwar „von der ganzen Natur des Schlechten“ frei
gewesen, aber auch von der des Guten. Hiernach würde Christus der
Sohn des mittleren Gottes sein oder vielmehr der Mittlere selbst. S.
darüber unten.
—————
¹ Dieser Ausdruck auch bei Rhodon in bezug auf die Lehre des
Marcionschülers Synerus (s. S. 321* f.).
² Auch bei Epiphanius c. 6, 8 heißt der
Gerechte „der Mittlere“.
³ Die Dreigötterlehre (mit dem
„Mittleren“) und die falsche Zweigötterlehre (der
Weltschöpfer als der schlechte Gott) rücken sich sehr nahe,
was keines Beweises bedarf.
168
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Daß
einige Schüler zu einer Vierprinzipienlehre fortgeschritten sind
(Gut, Gerecht, Materie, Schlecht), hören wir von Hippolyt (Ref. X,
19): die Differenzierung der Materie und des schlechten Gottes lag ja
nahe, da die Zusammenordnung „der gute Gott, der Schöpfer und die
Materie“ ungeschickt erscheinen konnte. Derselbe berichtet auch von dem
Schwanken, daß einige Marcioniten den Gerechten nur gerecht
nennen, andere gerecht und schlecht ¹.
Daß die Dreiprinzipienlehre einen gewissen
Halt gegenüber dem Manichäismus bot, ist klar; aber dieser
Halt drohte zu verschwinden, wenn der gute und der schlechte Gott als
Gott des Lichts und der Finsternis unterschieden wurden. Daß dies
nicht M.s Meinung war, darüber s. S.
97, 263* f.; aber später haben
Marcioniten so gelehrt; das zeigen die Berichte des „F i h
r i s t“ und S c h a h r a s t a n i s: „Sie
behaupten,
daß die beiden ewigen Prinzipien das Licht und die Finsternis
seien und daß es ein drittes Wesen gebe, welches sich ihnen
beigemischt habe“. „Sie nehmen zwei ewige, sich befeindende Grundwesen
an, das Licht und die Finsternis, aber auch noch ein drittes
Grundwesen, nämlich den gerechten Vermittler, den Verbinder; er
sei die Ursache der Vermischung; denn die beiden sich Bekämpfenden
und feindlich Gegenüberstehenden vermischen sich nur durch einen,
der sie verbindet. Sie sagen, der Vermittler sei auf der Stufe unter
dem Licht und über der Finsternis, und diese Welt sei entstanden
durch die Verbindung und Vermischung. Es gibt unter ihnen solche,
welche sagen, die Vermischung sei nur zwischen der Finsternis und dem
Gerechten vor sich gegangen, da er dieser näher stehe, sie sei
aber mit ihm vermischt worden, damit sie durch ihn besser gemacht werde
und durch seine Vergnügungen ergötzt werde ....; sie sagen
aber, wir nehmen den Gerechten nur an, weil das Licht, welches der
höchste Gott ist, sich mit dem Satan nicht vermischen kann; wie
sollte es auch
—————
¹ Nach Hippolyt legt auch Theodoret (S. 369* f.) M. die
Vierprinzipienlehre bei; er unterscheidet dabei πονηρός und κακός, so
daß sich die Lehre
so gestaltet: Ὁ ἀγαθὸς καὶ ἄγνωστος, ὁ δίκαιος δημιουργός (der auch
πονηρός ist), ἡ κακὴ ὕλη, ὁ κακός. — Theodoret erwähnt
übrigens einen Marcionschüler Pithon, der sonst nirgends
genannt wird, als Schulvorsteher. Vielleicht liegt hier lediglich ein
Irrtum vor (Prepon?).
169
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
möglich
sein, daß
die beiden Gegner, welche von Natur miteinander im Kampf sind und
vermöge ihres inneren Wesens voneinander ausgeschlossen sind, sich
miteinander vereinigen und vermischen? Es sei also ein Vermittler
notwendig, der unter dem Licht und über der Finsternis stehe und
mit welchem (durch welchen) die Vermittlung stattfinde“ (s. S. 386*).
Hier hat die materialistisch-manichäische Grundbetrachtung
übel auf den Marcionitismus eingewirkt, und die Beurteilung des
mittleren Prinzips, des Marcionitischen Demiurgs, wird nun eine total
andere, mehr oder weniger günstige; dadurch wird aber die ganze
Lehre M.s verdorben. Dieser Marcionitismus ist nichts anderes als
ein gemilderter Manichäismus und mag als solcher eine gewisse
Anziehungskraft besessen haben.
Vom Verfasser der pseudoaugustinischen
Quästionen (siehe S. 389*) hören wir die Kunde, daß
nach M. der Satan die Welt und auch den Leib des Menschen
geschaffen habe, die Seele aber „errore quodam“ gefallen und so in
diese Welt der Finsternis geraten sei. Auch hier liegt
gnostisch-manichäischer Einfluß vor, wenn der Bericht
glaubwürdig ist. Andrerseits berichtet Theodoret (s. S. 371*),
daß nach der Lehre der Marcioniten die Schlange besser sei als
der Weltschöpfer, weil dieser das Essen vom Baum der Erkenntnis
verboten, die Schlange aber dazu aufgefordert habe. So hat M.
sicher nicht gelehrt; aber es ist vielleicht keine Erfindung
Theodorets, da er berichtet, daß einige Marcioniten
Schlangenverehrer seien und er selbst bei ihnen eine eherne Schlange in
einem Kasten gefunden habe, die bei ihren Mysterien gebraucht werde.
Möglich, daß hier Ophitismus eingewirkt hat; aber man tut
besser, diese Erzählung beiseite zu legen.
Die Marcionitische Prinzipienlehre und Kosmologie,
wie sie Esnik schildert, sind noch wesentlich genuin (der gute Gott,
der Weltschöpfer, die Materie; der Mensch ein Produkt des
Weltschöpfers mit Hilfe der Materie), und der Charakter des
Weltschöpfers, wie ihn M. gezeichnet hat, ist festgehalten;
aber die Ausspinnung der Kosmologie, der Vertrag zwischen dem
Weltschöpfer und der Materie, der Betrug des Weltschöpfers
ihr gegenüber und ihre Rache sind späteren Ursprungs; denn
niemand, der die Antithesen gelesen, hat diese Erzählungen
gekannt, und der Biblizist M. hätte sie abgelehnt (s. S. 374*
f). Immerhin aber beweist die Esnik’sche Darstellung hier und in ihrer
Fort-
170
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
setzung
(Erlösungslehre),
daß es in bezug auf die Prinzipienlehre noch eine dem Stifter
treue Gruppe unter den Marcioniten im 5. Jahrhundert gegeben hat ¹.
In
bezug auf die Christologie finden sich in der Geschichte der Sekte ein
paar merkwürdige Theorien. Wenn oben (S. 167)
mitgeteilt worden ist,
daß der assyrische Marcionit Prepon nach Hippolyt gelehrt habe,
Christus gehöre weder zu dem guten noch zu dem schlechten Prinzip,
sondern sei der M i t t l e r e, da
ja Gott allein gut sei und Paulus Christus als „den Mittleren“
bezeichne, so kann man zunächst geneigt sein, hier einen
bösen Irrtum Hippolyts anzunehmen, der den gerechten Gott als den
μέσος und Christus als den μέσος (aber in ganz anderem Sinn)
identifiziert habe. Allein das scheint nicht der Fall zu sein, denn
Epiphanius c. 14 (s. S. 365* f.) berichtet, einige Marcioniten sagen,
Christus sei der Sohn des schlechten Gottes, andere des gerechten; er
habe, da er barmherziger und gut war, seinen eigenen Vater verlassen,
sei zu dem oberen Gott aufgestiegen, habe ihm angehangen und sei von
diesem zur Erlösung in die Welt gesandt worden und πρὸς ἀντιδικίαν
τοῦ ἰδίου πατρὸς καταλῦσαι τὰ πάντα ὅσα ὁ κατὰ φύσιν πατὴρ αὐτοῦ
ἐνομοθέτει (sei dieser der gerechte Gesetzesgott, sei er der schlechte
Gott). Hiernach darf man nicht mehr behaupten, daß Hippolyt einen
Irrtum begangen habe; vielmehr muß man glauben, daß es im
Marcionitismus — sonderbar genug — ziemlich frühe schon Lehren
gab, nach denen Christus von Hause aus nicht zum oberen guten Gott
gehörte. Hier kommt auch der Bericht im „Fihrist“ in Betracht. Er
sagt, die Marcioniten seien verschiedener Meinung darüber, was das
dritte Wesen sei; „Einige sagen, daß es das Leben d. i. Isa
(Jesus) sei, andere behaupten, daß Isa der Gesandte dieses
dritten Wesens sei, der die Dinge auf dessen Befehl und vermittelst
dessen Macht geschaffen habe“ ². Diese drei Mit-
—————
¹ Wie bei Megethius tritt bei den Marcioniten Esniks das Interesse
für die Juden hinter das für alle Menschen in bezug auf
Schöpfung und Erlösung zurück.
² Bei Schahrastani ist Christus Sohn und Gesandter des
Lichtgottes. Er stellt ihn nicht zum mittleren Prinzip, welches die
Vermischung von Gut und Schlecht ermöglicht: „Das Licht hat einen
Christus-Geist in die vermischte Welt gesandt, das ist der Geist und
sein Sohn“.
171
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
teilungen
machen nicht den
Eindruck, als stammten sie aus e i n e m
Motiv; leider sind sie sämtlich zu abgerissen und kurz, um sichere
Schlüsse zuzulassen. Prepon und der „Fihrist“ gehören wohl
zusammen. Schon Prepon scheint den Dualismus so streng gefaßt zu
haben, daß er ein drittes Prinzip brauchte, aus welchem
er S c h ö p f u n g u n d E r l
ö s u n g
dieser Welt ableitete ¹, und ähnliches mögen gewisse
Marcioniten gelehrt haben, von denen im „Fihrist“ berichtet ist.
Daß damit der ganze Marcionitismus umgestoßen wurde, liegt
auf der Hand. Die Marcioniten aber, von denen Epiphanius gehört
hat, sind vielleicht adoptianisch beeinflußt gewesen und wollten
Christus dadurch noch besonders ehren, daß sie eine sittliche
Großtat von ihm aussagten. Auch dieses Theologumenon ist freilich
antimarcionitisch. Wieder steht es bei Esnik so, daß die
Marcioniten, auf die sich sein Bericht bezieht, auch in der
Christologie die Lehre des Meisters streng festgehalten haben; nur
ausgesponnen haben sie sie, namentlich bei der Erzählung von dem
Tode Christi und seinem Effekt gegenüber dem Weltschöpfer:
nach der Auferstehung und Himmelfahrt steigt Jesus zum zweiten Mal, in
der Gestalt seiner Gottheit herab zum Weltschöpfer und hält
mit ihm Gericht wegen seines Todes. Jetzt erst erkennt dieser,
daß ein anderer Gott außer ihm da ist; Jesus legt das
eigene Gesetz des Weltschöpfers der Verhandlung zugrunde. Weil er
selbst geschrieben hat, daß der sterben soll, der das Blut des
Gerechten vergießt, muß er sich auf Tod und Leben in die
Hände Jesu geben, der zu ihm spricht: „Ich bin mit Recht gerechter
als du und habe deinen Geschöpfen große Wohltaten erwiesen“.
Jetzt bat der Weltschöpfer um sein Leben und sprach: „Dafür
daß ich gesündigt und dich unwissend getötet habe, weil
ich nicht wußte, daß du Gott seist, dafür gebe ich dir
zur Genugtuung alle jene, welche an dich glauben werden“. Auf dieses
Anerbieten ging Jesus ein ². Das hat nicht M. erzählt;
aber der Geist des Berichts verstößt nicht gegen seine
Lehre. —
—————
¹ Bei der Erlösung muß aber der gute Gott doch
mitgewirkt haben.
² Jesus verzichtet also auf sein Recht, den
Weltschöpfer zu töten und ihm seine Kinder zu nehmen, und
zahlt einen Preis. Auch darin soll man erkennen, daß der gute
Gott sich nicht nach dem Grundsatz richtet: „Auge um Auge, Zahn um
Zahn“.
172
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Sieht man
von Apelles ab, dessen eigentümliche Bedeutung besonders
dargestellt werden muß, so hat die Marcionitische Kirche nach
M. nur e i n Schulhaupt
besessen, das als Schriftsteller auftrat und dem Meister treu blieb,
aber so bedeutend war, daß die Häreseologen ihm einen
besonderen Platz nach dem Vorgang Tertullians, Hippolyts und Origenes’
eingeräumt haben — das war Lukanus. Es ist freilich nur sehr
wenig, was wir von ihm wissen. Er scheint im Abendland seine Schule
geleitet zu haben (Rom?) und hat, sich mit Aristoteles
beschäftigend ¹, festgestellt, daß es über der
Seele noch ein höheres Element im Menschen gebe, und dieses
könne allein der Auferstehung teilhaftig werden ². Er hat die
textkritische Arbeit des Meisters fortgesetzt und seine Schüler zu
ihr angeleitet, und er hat nach dem Bericht des Epiphanius (Hippolyt)
als Anhänger der Dreiprinzipienlehre den Schriftbeweis gegen den
Schöpfergott ausgebaut. Auch als strenger Verfechter der
Marcionitischen Askese ist er aufgetreten. Man hat den Eindruck,
daß er nach dem Tode M.s der bedeutendste Marcionit gewesen
ist (s. S. 401* f).
Einen bedeutenden Einblick in die Geschichte der
Kirche nach dem Tode M.’s (aber noch im 2. Jahrh.) haben wir erst
in der letzten Zeit durch zwei Entdeckungen erhalten — durch die
Entdeckung von d e B r u y n e
und C o r s s e n, daß die seit alters
weit verbreiteten Vulgata-Prologe zu den Paulusbriefen Marcionitischen
Ursprungs sind, und durch den von mir geführten Nachweis,
daß der in den Bibelhandschriften des Abendlandes weit
verbreitete falsche Laodizenerbrief eine Marcionitische Fälschung
ist (s. Beilage III). Jene Prologe, die Inhalt und Absicht der
Paulusbriefe lediglich nach dem Gesichtspunkt des Kampfes Pauli mit den
Judaisten bestimmen, zeigen, wie streng sich die Marcionitische Kirche
an das Hauptinteresse ihres Meisters gebunden wußte; dieser
gefälschte Brief, der mit dem Geist der Prologe aufs engste
verwandt ist, zeigt aber, daß man auch zu Fälschungen
geschritten ist, die der Meister sicher weit von sich
—————
¹ Das war allerdings nicht im Sinne des Meisters.
² Tert., De
resurr. 2:
„Viderit unus aliqui Lucanus, nec huic quidem substantiae (scil. der
Seele) parcens, quam secundum Aristotelem dissolvens aliud quid pro ea
subicit, tertium quiddam resurrecturus, neque anima neque caro, i. e.
non homo, sed ursus forsitan, qua Lucanus“.
173
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
gewiesen
hätte. Auch kann
man leider nicht einen einzelnen Marcioniten für die
Fälschung verantwortlich machen; denn — abgesehen davon, daß
wir noch von einer zweiten Fälschung hören, einem
gefälschten Alexandrinerbrief des Paulus — sie hätte sich
nicht so weit verbreiten können, wenn nicht eine propagandistische
Autorität hinter ihr gestanden hätte. Andrerseits aber ist
wichtig, daß keiner unserer Berichterstatter eine Marcionitische
Bibel mit dem gefälschten Brief gekannt hat, weder Tertullian,
noch Origenes, noch Epiphanius usw. Er scheint ein Exportartikel
gewesen zu sein und, paradox genug, stärker in den katholischen
„Apostolos“ eingedrungen zu sein als in den Marcionitischen. Daß
aber überhaupt diese Marcionitischen Stücke so häufig in
die katholische Bibel gedrungen sind, ist ein Beweis dafür,
daß (1) die Verbreitung katholischer Exemplare der Paulusbriefe
im 2. Jahrhundert noch beschränkt gewesen sein muß, und
daß (2) in eben diesem Jahrhundert uns undurchsichtige
Einflußmöglichkeiten der Kirche M.’s auf die
katholischen Kirchen bestanden haben. Dies bestätigt sich auch,
wenn man auf die Geschichte des Textes blickt.
An dem
Text Marcions ist von den Marcioniten fort und fort geändert
worden; denn der Meister hatte das nicht untersagt, ja vielleicht dazu
ermuntert (s. S. 43 f). Nicht nur der gebildete
Schüler Lukanus hat geändert, sondern auch namenlose
Korrektoren, wie direkt bezeugt ist (Tert. IV, 5: „Quotidie
reformant
evangelium, prout a nobis quotidie revincuntur“; Celsus bei Orig. II,
27; Origenes selbst; Ephraem, Lied 24, 1). Beispiele fehlen nicht; s.
Adamant., Dial., II, 25 (hiernach haben spätere Marcioniten in I
Kor. 15, 38 πνεῦμα für σῶμα eingesetzt); Esnik, S. 378* (hier ist
in I Kor. 15, 25 θῇ in das Passiv verwandelt worden); vor allem vgl.
man die verschiedenen Textüberlieferungen bei Tert. und
Epiphanius, die mindestens z. T. auf spätere Marcionitische
Korrekturen zurückgehen. Aber es sind auch aus andern NTlichen
Büchern Zusätze zur Bibel gemacht worden. Johanneische
Stellen werden vom Marcioniten Markus (Dial. II, 16 u. 20: Joh. 13, 34
u. 15, 19) zitiert; nach Isidor von Pelusium (s. S. 369*) war das Wort:
„Ich bin gekommen, das Gesetz und die Propheten aufzulösen“, in
das Evangelium eingerückt. Nach Epiphanius (haer. 42, 3) muß
man annehmen, daß Mark. 10, 37 f. (bzw. die
Matthäusparallele) in einem
174
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Marcionitischen
Evangelienexemplar gestanden hat, und das ist auch nach Origenes
wahrscheinlich (s. S. 252*). Ephraem scheint Matth. 23, 8 bei den
Marcioniten gelesen zu haben (s. S. 359*), und vielleicht haben
syrische Marcioniten die Taufe Jesu durch Johannes wieder aufgenommen
(S. 357*). Bei einigen Marcioniten wurden auch die Pastoralbriefe
gelesen, wie die Prologe beweisen und wie aus einer Stelle bei
Chrysostomus hervorgeht (S. 368*): „Die Marcioniten folgern aus den
Worten: δῴη ὁ κύριος παρὰ κυρίου, daß es zwei Herren gebe“. (Ist
das wirklich Marcionitisch, so liegt dieser Erklärung eine
Auffassung vom Verhältnis der beiden Götter zugrunde, die
nicht mehr die echte ist.) Auch Erklärungen nicht M.s,
sondern späterer Marcioniten zum Evangelium lassen sich erkennen;
so mag die eine der beiden verschiedenen Auslegungen zu dem Befehl
Jesu, sich den Priestern zu zeigen (Luk. 5, 14 u. 17, 14; s. Tert.
IV,
9. 35), eine spätere sein; so unterscheidet Tert. zu Luk. 6,
24 zwei Auslegungen, die eine (genuin Marcionitische), welche das „Vae“
nicht als „maledictio“, sondern als „admonitio“ faßt, und die
andere, nach welcher Christus hier davon spricht, was der Demiurg tun
wird (Tert. IV, 15: „ ,Alii adgnoscunt quidem verbum
maledictionis, sed
volunt Christum sic ,Vae‘ pronuntiasse, non quasi ex sententia sua
proprie, sed quod ,Vae‘ a creatore sit et voluerit illis asperitatem
creatoris opponere“). Möglich ist auch, daß ihm IV, 30 zu
Luk. 13, 19 zwei Auslegungen vorgelegen haben. In den Dialogen des
Adamantius finden sich zahlreiche Auslegungen, die wahrscheinlich nicht
von M. selbst, sondern von späteren Marcioniten
herrühren; aber wenn sie gut Marcionitisch sind, hat es kein
Interesse, die wenig aussichtsvolle Aufspürung von Kriterien der
Unterscheidung zu versuchen.
Was
uns sonst noch aus der späteren Geschichte der Marcionitischen
Kirche in bezug auf ihre Schriften und ihren Glauben bekannt ist, ist
wenig genug. Undurchsichtig sind uns ihre Beziehungen zu anderen
Sekten, wenn wir auch ein paar halbe Nachrichten vom Muratorischen
Fragment an besitzen und wissen, daß die „Antithesen“ auch
außerhalb der Kirche M.s von solchen gelesen worden sind,
die sich vom AT befreit hatten; besonders der M a n i c h
ä i s m u s hat sie für
seine Zwecke verwertet, ferner P a t r i c i u s
u. a. Ob die heidnische Polemik von ihnen Gebrauch gemacht hat
(Porphyrius), ist so ungewiß, wie umge-
175
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
kehrt
das Verhältnis der
„Antithesen“ zur jüdischen antichristlichen Polemik; doch ist in
beiden Fällen Abhängigkeit wahrscheinlich.
Wie ernst es in dieser Kirche auch noch im 5.
Jahrhundert mit der dem Schöpfer trotzenden Askese gehalten worden
ist, zeigt eine Anekdote bei Theodoret (s. S. 371*). Er erzählt,
er habe einen 90 jährigen Marcioniten gekannt, der sich am Morgen
stets mit seinem Speichel gewaschen habe, um, wie er erklärte,
nichts mit den Produkten des Schöpfers, also auch nichts mit dem
Wasser, zu tun zu haben; er würde am liebsten auch Speise und
Trank usw. vermeiden, aber leider könne man ohne diese Dinge nicht
leben und auch die Mysterien nicht vollziehen.
Die Mysterien anlangend, so behauptet Esnik (s. S.
377*), daß die nähere Darlegung der Art der Erlösung
(Erkaufung durch den Tod Christi als Preis) in der Marcionitischen
Kirche geheimgehalten und nicht allen — und auch diesen nur
mündlich — überliefert werde; zwar daß wir durch eine
Erkaufung erlöst seien, werde mündlich allen mitgeteilt, aber
„wie und wodurch Christus erkauft habe, das wissen nicht alle“. Ist
diese Nachricht, die durch kein zweites Zeugnis gestützt wird,
zuverlässig? Wenn sie es ist, so ist die ursprüngliche
Offenheit, durch die sich die Marcionitische Kirche einst ausgezeichnet
hat (s. S. 146 f), hier
eingeschränkt worden. Möglich ist das; äußere oder
innere Einflüsse können maßgebend gewesen sein, und
Esnik ist ein zuverlässiger Zeuge ¹.
Von der Taufe behauptet Epiphanius, M. habe
ihre Wiederholung zugelassen (haer. 42, 3), sogar über dreimal
(„so habe ich von vielen gehört“). Da Esnik, der dasselbe sagt,
hier von Epiphanius abhängig ist, so ist dieser der einzige Zeuge.
Nun aber berichtet Esnik dort, wo er auf Grund eigener Kenntnisse
erzählt (s. S. 379*): „Die Marcioniten lügen dem
(Tauf)gelübde; denn weil sie der Begehrlichkeit nicht widerstehen,
unterwerfen sie (die Sünder) wieder einer Buße ... die
wahrhaft Gläubigen (die Katholiken) sind nicht wie jene, die da
großsprechen, daß ,wir von der Taufe an verlobt werden zur
Enthaltung vom Fleisch-
—————
¹ Von Epiphanius gilt nicht dasselbe; wenn er und nur er (haer.
42, 4) behauptet, M. lehre die Seelenwanderung, so ist das an sich
unwahrscheinlich und wird durch Clemens widerlegt (s. S. 365*).
176
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
essen
und von der Ehe‘, und
dann das Gelübde lösen und in die Buße eintreten“. Da
der Biblizist M. unmöglich eine wiederholte Taufe zugelassen
haben kann, da sich Epiphanius, der einzige Zeuge, nur auf
Hören-Sagen beruft und da endlich Esnik von einer Buße bei
den Marcioniten spricht, durch die die Restitutio erlangt werden kann,
so haben die Gewährsmänner des Epiphanius sich
höchstwahrscheinlich getäuscht oder gehässig berichtet.
Jene Marcioniten haben die Buße als wiederholte Taufe betrachtet
und da sie auf sie Luk. 12, 50 und Mark. 10, 38 anwendeten („die neue
Taufe“), so war das Mißverständnis bzw. die Verleumdung sehr
naheliegend, die Marcioniten ließen die Wiederholung der Taufe zu
¹. Aber das geht allerdings aus den Berichten des Epiphanius und
Esnik hervor, daß auch die Marcioniten Wasser in ihren Wein haben
gießen und eine Bußmöglichkeit für a
l l e Sünden haben
einführen müssen, die sich mit der späteren katholischen
deckte und schwerlich im Sinne des Meisters gewesen ist. Auch das
katholische Bußsakrament ist nichts anderes als eine Wiederholung
der Taufe.
Noch eine angebliche Singularität ist
überliefert. Tertullian (V, 10) bemerkt zu I Kor. 15, 29 (Taufe
für Verstorbene): „Noli apostolum novum statim auctorem aut
confirmatorem denotare, ut tanto magis sisteret carnis resurrectionem,
quanto illi, qui vane pro mortuis baptizarentur, fide resurrectionis
hoc facerent“. Hieraus kann man nichts für einen besonderen
Marcionitischen Brauch schließen, sondern M. hat zu der
Stelle lediglich bemerkt, daß, da im Evangelium nichts von einer
Taufe für Verstorbene stehe, die Anerkennung dieses Brauchs durch
Paulus seine gesetzgeberische Würde in der Kirche dartue. Auch aus
Tert., de carne 48 läßt sich für M. nichts
erschließen. Chrysostomus aber berichtet zu I Kor. 15, 29,
daß, wenn ein Katechumen bei den Marcioniten gestorben sei, er
gefragt würde, ob er die Taufe begehre; die bejahende Antwort
erteile dann ein unter das Bett gekrochener Bruder und nun werde die
Taufe vollzogen (s. S. 367* f.). Diese von Esnik bestätigte
Mitteilung (s. S. 380*; ob von Chrysostomus abhängig?) zeigt
lediglich, daß sich in der
—————
¹ Zu vgl. ist die gehässige dunkle Andeutung Hippolyts
(Refut. IX, 12 fin.) in bezug auf die römische Gemeinde unter dem
Episkopat des Kallist: Ἐπὶ τούτου πρώτως τετόλμηται δεύτερον αὐτοῖς
βάπτισμα.
177
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Marcionitischen Kirche ein
Brauch des apostolischen Zeitalters länger erhalten hat als in der
katholischen, bietet also nichts Besonderes ¹.
3.
Apelles und seine Sekte ².
Apelles wurde von Marcion als Schüler gewonnen
(vermutlich in Rom); er verließ ihn (De praescr. 30: „ab
oculis
sanctissimi magistri secessit“) und ging nach Alexandrien ³, von
wo er als selbständiger Lehrer, der sich von seinem Meister
getrennt hatte, zurückkehrte. Da er jetzt den Dualismus M.s
verwarf und die Monarchie Gottes sowie die Präexistenz der Seelen
lehrte, so ist es wahrscheinlich, daß die theologische
Spekulation in Alexandrien, der die Lehrer des Clemens und Origenes
gehuldigt haben, auf ihn Einfluß gewonnen hatte. In Rom
gründete er eine Schule außerhalb der Marcionitischen
Kirche. Zu ihr gehörte eine ekstatische Jungfrau Philumene ,
eine Prophetin, mit der er wie ein
—————
¹ Der Brauch, der für das frühe Eindringen der
Myaterienmagie in die Gemeinden besonders charakteristisch ist (doch
ist nicht zu übersehen, daß die katholischen sich schon bald
von ihm wieder befreit haben müssen), ist auch für
Montanisten (Filastr., haer. 49) und Cerinthianer (Epiph., haer. 28, 6)
überliefert: Dort heißt es: „Hi mortuos baptizant“, hier:
καί τι παραδόσεως πρᾶγμα ἦλθεν εἰς ἡμᾶς, ὡς τινῶν μὲν παρ’ αὐτοῖς
προφθανόντων τελευτῆσαι ἄνεν βαπτίσματος, ἄλλους δὲ ἀντ’ αὐτῶν, εἰς
ὄνομα ἐκείνων βαπτίζεσθαι, ὑπὲρ τοῦ μὴ ἐν τῇ ἀναστάσει ἀναστάντας
αὐτοὺς δίκην δοῦναι τιμωρίας, βάπτισμα μὴ εἰλήφοτας.
²
S. die vollständigen Belege in Beilage VIII, ferner m
e i n e Dissertation: De Apellis
gnosi Monarchica, 1874 (sie ist durch die neue Darstellung antiquiert)
und m e i n e Abhandlung (in den
„Geschichtlichen Studien, A l b e r t
H a u c k dargebracht“, 1916): Rhodon und Apelles, die ich
z. T.
hier wiedergebe.
³ Daß eine Fleischessünde dabei im
Spiele war, berichtet nur Tertullian, während die Römer
Rhodon und Hippolyt davon nichts wissen; umgekehrt berichtet Hippolyt
die Fleischessünde von Marcion, und Tertullian schweigt (s. o. S. 23). Ist sie nicht für Apelles
ebenso gehässig erfunden wie für Marcion?
„Postea immane
prostibulum“, behauptet Tert., was ihm niemand glauben wird. Was
uns von ihr bekannt ist, geht auf Rhodon und Tertullian zurück.
Als Hippolyt sein Syntagma schrieb, wußte er noch nichts von ihr
(daher weiß auch Epiphanius nichts); in der Refutatio kennt er
sie und ihre Phaneroseis aber, weil er unterdessen Tertullians uns
verlorene Schrift adv. Apelleiacos gelesen hat. Diese hat auch
Pseudoter-
178
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
hingebender Adept
zusammenarbeitete, indem er ihr seine Gedanken vortrug und ihre
Offenbarungen und Weissagungen entgegennahm. Auf Grund dieser schrieb
er das verlorene Werk „Phaneroseis“ ¹. Ein klares Bild von dieser
Frau läßt sich nicht gewinnen, die einen so hochgebildeten
Mann wie Apelles zu fesseln verstand, von ihren Visionen erzählte,
in denen ihr ein Jüngling erschien, der sich selbst bald als
Christus, bald als Paulus bezeichnete, und die wie ein Orakel Antworten
erteilte, die A. dann den Fragenden weitergab. Auch Wunder soll
sie getan und sich ausschließlich von einem großen Brote
genährt haben, das sie (täglich) in eine Flasche mit ganz
dünnem Hals unversehrt praktizierte und mit den Fingerspitzen
unversehrt herauszog ².
Mit der romantisch-religiösen Betätigung
verband Apelles im Verein mit dieser Frau eine kritisch-theologische.
Sein ehemaliger Meister hatte „Antithesen“ geschrieben und in ihnen den
religiösen Unwert des AT nachgewiesen (es dabei aber für ein
durchweg glaubwürdiges Buch haltend); Apelles verfaßte ein
großes Werk von mindestens 38 Bänden, dem er den Titel
—————
tullian kennen
gelernt und seine Notiz über Philumene ihr entnommen. De
praescr.
6 führt Tert. die Häresie des Apelles geradezu auf
Philumene zurück.
¹ Alles, was Tert. über die Lehre des
A. berichtet, scheint aus diesem Werk genommen zu sein, sowie das
oben im Text folgende. Nach Pseudotert., der sicher den Tert.
ausgeschrieben hat, scheinen die „Phaneroseis“ kanonisches Ansehen in
der Sekte genossen zu haben; der Ausdruck „privatae, sed
extraordinariae lectiones“ ist etwas dunkel.
² Dies alles nach dem in einer
Augustin-Handschrift zufällig erhaltenen Fragment aus Tertullians
Schrift adv. Apelleiacos. Daß in Visionen die himmlischen
Erscheinungen (Tert., De praesc. 6 [ein dämonischer
Engel
soll sie
bewirkt haben] etc.; hiernach Hieron. zu Gal. 1, 8) als „pueri“
auftreten, ist auch sonst bezeugt. Wenn sich hier der Jüngling
bald als Christus, bald als Paulus bezeichnet hat, so erkennt man noch
die Sphäre Marcions. Der h. Thekla erschien Christus in der
Gestalt des Paulus, was sich aus ihrem Verhältnis zu Paulus
erklärt. Zum Mirakel s. den Aufsatz von B u c h h o l
t z „Das okkulte Berlin“
(„Berliner Zeitung am Mittag“, 3. Juni 1920). In einer spiritistischen
Sitzung erzählt hier ein Teilnehmer: „Neulich gelangte von mir ein
Salzfaß in eine dünnhalsige Flasche“. — In dem Brot darf man
wohl das geweihte Brot erkennen, von dem die Prophetin
ausschließlich gelebt hat.
179
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
„Syllogismen“
gab und in
welchem er die Fabeleien und Widersprüche, kurz die
Unglaubwürdigkeit und dazu den dem Christentum fremden Geist des
Gesetzes und der Propheten dartat. Die Reste dieses Werkes zeigen,
daß er dabei mit keckem Rationalismus verfuhr ¹. Gegen
seinen Lehrer, obgleich er ihm in der Hauptsache doch treu blieb, nahm
er kein Blatt vor den Mund: „M. lügt“, schrieb er, „wenn er
von (mehreren) Prinzipien spricht“ ².
In Rom und von Rom aus hat Apelles eine sehr
erfolgreiche Wirksamkeit ausgeübt. Zwar hat Irenäus noch
nicht von ihr Notiz genommen (auch Clemens nicht); aber schon in der
frühen Schrift Tert.s „De praescr. haer.“
erscheint die Sekte
des Apelles neben denen Marcions und Valentins als die bedeutendste
häretische ³. Diese Trias, die sich öfters bei
Tert. findet, stellt auch Origenes an vielen Stellen zum Zweck der
Polemik zusammen neben der anderen „Marcion, Valentin, Basilides“ oder
schiebt beide ineinander — ein Beweis, daß die Secte des A.
in Palästina und sonst in orientalischen Gebieten
Wurzeln geschlagen hatte
—————
¹ Rhodon spricht von mehreren Schriften blasphemischen Inhalts,
die mit großem Fleiß zur Widerlegung des AT von Apelles
verfaßt worden seien. Origenes und Tertullian (in der verlorenen
Schrift gegen A.) haben die Syllogismen gekannt und sich mit ihnen
eingehend auseinandergesetzt; den Titel nennt nur Pseudotert.
(nach Tertullian). Epiphanius hat außer dem Syntagma Hippolyts
(der hier und in der Refutatio eine Bekenntnisschrift des Apelles [oder
eine ältere Gegenschrift? Rhodon?] zur Hand gehabt hat) zwar nicht
die Syllogismen, wohl aber eine Schrift des Apelles (vielleicht
dieselbe wie Hippolyt) direkt oder indirekt benutzt. Eine Schrift des
Apelles hat auch Anthimus gekannt.
²
S. bei Anthimus, Beilage S. 419*, vgl. Apelles bei Epiph., Haer.
44, 1: πεπλάνηται Μαρκίων.
³
De vier großen Spezialschriften Tert.s richten sich gegen
Marcion, Apelles, Valentin und Hermogenes; in der Schrift de carne
Christi werden fast ausschließlich die drei erstgenannten
bekämpft; sie werden de praescr. 37 als die „insigniores et
frequentiores“ von den anderen Häresien unterschieden.
Ob die von A. gestiftete Gemeinschaft eine förmliche Kirche
war wie die M.s, von der sie sich streng geschieden hatte, oder
eine Schulsekte, ist nicht sicher auszumachen. Ihre kurze Lebensdauer
spricht für letzteres. Epiph., Haer. 44, 1: σχολή.
Ob auch in Ägypten, ist nicht
gewiß, da Origenes erst in seinen späteren Werken auf
Apelles eingeht.
180
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
und
mit den bedeutendsten
Häresien rivalisierte. Doch war ihr ein sehr viel kürzeres
Leben beschieden als der Kirche Marcions. Wir haben keine Gewähr,
daß sie sich nach dem Zeitalter des Origenes, der ihr
unermüdlicher Gegner gewesen — er hat auch Reisen unternommen, um
sie in verschiedenen Städten in Vorträgen zu bekämpfen
¹ — noch lange erhalten hat. Das Urteil Firmilians, A. habe
der Blasphemie des M. beigestimmt, dazu aber vieles dem Glauben
und der Wahrheit noch Feindseligere hinzugefügt ², war wohl
trotz der Einprinzipienlehre des Apelles in der Kirche allgemein und
hat zu besonders heftigem Kampf gegen den Ketzer angespornt, der das AT
in Märchen und Fabeln auflöste.
Wie uns von Marcion und den Marcioniten Dispute mit
Katholiken überliefert sind, so auch von Apelles. Hippolyt im
Syntagma berichtet, Apelles habe in einer Unterredung über den
Glauben geäußert: „Ich brauche nicht von Marcion zu lernen,
um mit ihm zwei gleichewige Prinzipien zu behaupten; ich
verkündige e i n Prinzip“.
Wichtiger ist das Religionsgespräch, das Rhodon mit dem schon im
Greisenalter stehenden Apelles ³ geführt hat ,
j a e s i s t d a s b e
d e u t e n d s t e
R e l i g i o n s g e s p r ä c h, w e l c h e
s w i r a u s d e r
ä l t e s t e n
K i r c h e n g e s c h i c h t e ü b e r h a u p
t b e s i t z e n. Es wird gegen Ende
der Regierung Marc Aurels stattgefunden haben:
„Der greise Apelles“ — schreibt Rhodon — „ließ
sich mit uns in ein Gespräch ein und
wurde dabei überführt, daß er in vielen Stücken
Schlimmes behaupte. Daher sagte er auch, man dürfe schlechterdings
nicht die Lehre (jemandes) untersuchen, sondern j e d e r m
a n n s o l l e i n d e
m
G l a u b e n b l e i b e n, w i e e
r i h n e i n m a l a n g e n o m m
e n h a b e; d e n n, s o b e h a u p
t e t e
e r, e r l ö s t w ü r d e n d
i e, w e l c h e a u f d e n
G e k r e u z i g t e n i h r e
H o f f n u n g g e s e t z t h a b e n
(σωθήσεσθαι τοὺς ἐπὶ τὸν ἐσταυ-
—————
¹ S. Beilage, S. 418*.
² S. Beilage, S. 419*.
³ „Der sich auf seinen (strengen) Lebenswandel
und sein Alter etwas zugut tut“, schreibt Rhodon bissig.
Es ist möglich,
daß Hippolyt eben dieses Gespräch meint; denn in beiden hat
sich A. kurz und klar zur Einprinzipienlehre bekannt.
Apelles also hat die
Initiative ergriffen.
181
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
ρωμένον
ἠλπικότας), w e n n s i e n u
r i n g u t e n W e r k e
n e r f u n d e n
w ü r d e n. Als das undeutlichste Objekt aber von allem
wurde
von ihm, wie wir schon bemerkt haben ¹, immer wieder die Lehre von
Gott bezeichnet (τὸ δὲ πάντων ἀσαφέστατον ἐδογματίζετο αὐτῷ πρᾶγμα,
καθὼς προειρήκαμεν, τὸ περὶ θεοῦ) denn er sagte wiederholt
,e i n Prinzip‘, wie auch unsere Lehre
lautet.“
Eusebius fährt in seinem Exzerpt also fort: Nachdem Rhodon hierauf
des Apelles ganze Lehrmeinung dargelegt, fügt er folgendes hinzu:
„Als
ich aber zu ihm sagte: ,Woher hast du den hier nötigen Beweis oder
wie kannst du e i n Prinzip
behaupten? Sag es uns!‘, entgegnete er, daß die Weissagungen sich
selbst widerlegen, weil sie schlechterdings nichts Wahres gesagt haben;
denn sie sind unstimmig und lügenhaft und mit sich selbst im
Streit; wie aber e i n Prinzip sei — so
erklärte er wiederholt — das
w i s s e e r n i c h t, s o n d e r
n w e r d e d a z u
n u r g e t r i e b e n (τὸ δὲ πῶς ἐστιν μία ἀρχή,
μὴ γινώσκειν ἔλεγεν,
οὕτως δὲ κινεῖσθαι μόνον). Als ich ihn darauf beschwor, die Wahrheit zu
sagen ², schwur er, daß er mit voller Aufrichtigkeit rede,
er wisse nicht, wie ein ungezeugter Gott sei (μὴ ἐπίστασθαι πῶς εἷς
ἐστιν ἀγέννητος θεός), aber er glaube es. Ich aber gab ihm unter Lachen
meine Verachtung kund, daß er ein Lehrer zu sein behaupte, aber
das von ihm Gelehrte nicht zu beweisen wisse.“
Rhodon
stellt das Ergebnis so dar, als seien die letzten Aussagen des
Häretikers, nämlich die, auf welche sich leider die
Wiedergabe Eusebs beschränkt hat, ein Ausfluß der
Verzweiflung des in die Enge getriebenen alten Mannes, und Euseb
verstand sie ebenso und hat die Worte angeführt, um Apelles
bloßzustellen. Aber es ist nicht der einzige Fall in seiner
„Kirchengeschichte“, in welchem er durch seine Zitate eine ganz andere
Wirkung bei der Nachwelt erzielt hat, als er beabsichtigte. Die Worte
sind auch keineswegs aus einer augenblicklichen Verlegenheit
entsprungen — dazu sind sie viel zu gewichtig —, sondern
—————
¹ Das muß in einem früheren Abschnitt geschehen sein,
den Eusebius nicht exzerpiert hat.
² Rhodon argwöhnte wohl, Apelles habe eine Geheimlehre, die
er nicht enthüllen wolle (wie die Valentinianer und andere
Gnostiker).
182
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
stellen
die wohlerwogene
Überzeugung des Apelles, ja ihren Kern und Stern dar. Nur das ist
nicht sofort deutlich, ob sie als Resignation zu verstehen sind oder ob
erst Rhodon den resignierten Ton hineingebracht hat, und auch die Frage
bleibt offen, ob Apelles sich als Lehrer immer so ausgesprochen hat
oder erst als Greis.
In dem
Satze: „Das Heil ist denen gewiß, die auf den Gekreuzigten ihre
Hoffnung gesetzt haben, wenn sie nur in guten Werken erfunden werden“,
hat sich A. zum paulinischen Christentum, wie sein ehemaliger
Meister Marcion, unzweideutig bekannt — auch in der Formulierung, wie
das absolute „ὁ ἐσταυρωμένως“ beweist ¹, das sonst m. W. in der
ganzen nachapostolischen Literatur nicht vorkommt und dem Gedanken eine
besondere Wucht verleiht. Wie in einer Devise ist das Wesen des
Christentums hier zusammengefaßt ².
Aber
erst aus dem folgenden Gedanken erkennt man, welche über Paulus
hinausgehende Tragweite dieses Bekenntnis bei Apelles hat. Nach Paulus
ist ἠλπικέναι εἰς Χριστόν und πιστεύειν εἰς ἕνα θεόν gleich
wesentlich, gleich notwendig und unzertrennbar; er hätte sich gar
nicht vorstellen können, daß jemand diese Verbindung
zerreißen könne; anders Apelles. Schlechthin notwendig zum
Heil ist nach ihm vielmehr n u r
die Hoffnung auf den Gekreuzigten, d. h. auf die im Kreuzestod sich
darstellende Gottestat der Erlösung ³. Diese Glaubenshoffnung
ist zwar bei ihm selbst mit der Annahme nur e i n e s
Prinzips, des ἑνὸς ἀγεννήτου
θεοῦ, verbunden ; aber er weiß,
—————
¹ Röm. 8, 24 (τῇ ἐλπίδι ἐσώθημεν), I Kor. 1, 23; 2, 2; 15, 19
(ἠλπικότες ἐσμὲν ἐν Χριστῷ; II Kor. 1, 10 (εἰς ὃν ἠλπίκαμεν). Auch
das εὑρίσκεσθαι ἐν ist paulinisch (Phil. 3, 9), und Paulus
hätte auch den Satz: μόνον ἐὰν ἐν ἔργοις εὑρίσκωνται
schreiben können (s. II Kor. 5, 10 und sogar Gal.); denn es ist
nicht anzunehmen, daß Apelles ihn als gleichwertig zu ἐλπίζειν
εἰς τὸν ἐσταυρωμένον gemeint hat.
²
Vgl. auch den Satz des Apelles bei Hippolyt, Refut. VII, 38: (Χριστὸς
bei seinem Aufstieg zum Vater) καταλιπὼν τὸ τῆς ζωῆς σπέρμα εἰς
τὸν κόσμον διὰ τῶν μαθητῶν τ ο ῖ ς
πιστεύουσι. Das „σπέρμα“ erinnert an I Joh. 3, 9. M.
hätte sich nicht so ausdrücken können.
³
Auch dies ist M.s Meinung; denn er rückt den guten Gott und
Christus bis zur Identität zusammen.
Die von A. selbst gebotene
Paraphrasierung des Begriffs μία ἀρχή = εἷς ἀγένητος oder ἀγέννητος
θεός ist zu beachten (in den alt-
183
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
daß
andere Christen
darüber anders denken und d a s
s t ö r t i h n n i c h t, vielmehr
meint er, daß wo jene
Hoffnung auf den Gekreuzigten (samt dem heiligen Leben) sich
findet, m a n j e d e n i n
b e z u g a u f d a s G o t t e s p
r o b l e m
bei dem Glauben lassen solle, den er einmal angenommen hat ¹.
Selbst die Frage, wie viele ewige Prinzipien es gibt, entscheidet nach
A. nicht über den Christenstand; denn der Gekreuzigte allein
ist das A und das O ². Die ganze „theoretische“ Theologie wird
hier aus der christlichen Religion einfach ausgewiesen und jedes
„ἐξετάζειν τὸν λόγον“ kategorisch verboten. Die christliche Religion
ist sichere Hoffnung und hat es einzig mit dem Heil und dem
gekreuzigten Erlöser zu tun. So verkündete dieser Christ im
Zeitalter des Platonismus und des alles beherrschenden religiösen
Intellektualismus!
Wie
rechtfertigt A. aber seine Haltung in bezug auf die theoretische
Theologie? Durch zwei in sich verbundene Urteile, ein negatives und ein
positives. Das erstere lautet: Τὸ πρᾶγμα τὸ περὶ θεοῦ ist von allen
Problemen das dunkelste ³, ja es gibt überhaupt keine Gnosis
und kein W i s s e n über
Gott (οὐ γινώσκω, οὐκ ἐπίσταμαι). D a m i t
w i r d j e d e E r k e n n t n i s
G o t t e s a u s d e r W e l t
a b g e l e h n t, aber dazu
noch ausdrücklich hervorgehoben, daß eine solche Erkenntnis
auch nicht aus dem AT zu holen sei , denn
in diesem Buche finde man nichts
—————
kirchlichen
Bekenntnissen ist ἀγένητος selten [s. Ulfilas’ und Patricius’
Bekenntnis], ebenso ἀγέννητος. Unter den Apologeten ist der
philosophische Athenagoras der einzige, der ἀγένητος — recht
häufig — braucht; Justin [und nur er] braucht ebenso häufig
ἀγέννητος).
¹
Man hat zu beachten, daß Apelles der Klarheit wegen statt des
Worts πιστεύειν für den Heilsglauben ἐλπίζειν braucht, πιστεύειν
aber einen weiteren Sinn gibt, nach welchem es eine Überzeugung im
allgemeinen ausdrückt. — Zur Sache vgl. das G o e t h
e sche Wort: „Frage nicht,
durch welche Pforte du in Gottes Haus gekommen, sondern bleib am
stillen Orte, wo du einmal Platz genommen“.
²
Das ist wohl verständlich, wenn Apelles’ Theologie und
Christologie lautete wie die seines jüngeren Zeitgenossen, des
römischen Bischof Zephyrin: Ἐγὼ οἶδα ἕνα θεὸν Χριστὸν Ἰησοῦν,
καὶ πλὴν αὐτοῦ ἕτερον οὐδένα.
³
So beginnt auch bei Plato die Gotteslehre; aber dann gehen A. und
er auseinander.
Auch in diesen beiden Überzeugungen
geht A. mit Marcion, aber nicht mehr bei Begründung der
zweiten.
184
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Wirkliches
und Wahres; was es
enthält, sei unsinnig, lügenhaft und in sich voll
Widersprüche. Es bleibt in bezug auf Gott das πῶς ἐστιν ¹
dem
W i s s e n verschlossen und
deshalb ist auch jeder Beweis hier unmöglich. Das zweite Urteil
aber ist aus der Selbstbeobachtung geschöpft: „Ich für meine
Person habe zwar den Glauben an das e i n e
Prinzip (den einen ungezeugten Gott) ², aber ich vermag ihn nicht
durch Beweis zu übertragen; denn er ist kein rationales oder auf
Autoritäten sich gründendes Wissen, sondern Sache einer
innern Bestimmtheit (οὕτως κινοῦμαι), über die ich nicht weiter
Rechenschaft geben kann“.
A. ist also kein Skeptiker ³; er ist vielmehr Gottes
gewiß und zwar als des einzigen Prinzips; aber diese
Gewißheit ist für ihn k e i n
H e i l s g l a u b e, sie ruht auch nicht auf einer Einsicht,
sondern
ausschließlich auf einem „κινεῖσθαι“.
Dieses
„οὕτως κινοῦμαι“ ist unstreitig neben dem runden Paulinischen
Bekenntnis zum Gekreuzigten das Wertvollste in der ganzen
Ausführung. Κινεῖσθαι, ein stoischer Begriff, ist eine seelische
Erregung im Sinne des innern Bestimmtwerdens .
Verdient A. nicht eine ausgezeichnete Stelle in der Geschichte der
Religionspsychologie mit der Erklärung, daß die Gottesfrage
(im Sinne der Existenz und der Einheit) nicht Sache des Wissens (weder
des logischen noch des historischen), sondern ausschließlich
Sache eines seelischen Bestimmtseins sei? Wer hat denn vor ihm das so
sicher ausgesprochen, ja wer hat es überhaupt ausgesprochen? Wer
hat vor ihm jedes W i s s e n
über Gott aufgehoben und vom Standpunkt der theoretischen
Erkenntnis die Gottesfrage für πάντων ἀσαφέστατον erklärt,
ohne in Materialismus oder Skeptizismus zu enden, sondern um für
seine Person zu erklären, daß auf diesem Gebiet πιστεύειν
= κινεῖσθαι sei und daß dieses κινεῖσθαι ihm die Antwort auf
die Frage τὸ πῶς ἐστιν μία ἀρχή d. h. πῶς εἷς ἐστιν μία ὰγέννητος θεός
ersetze. Ist
—————
¹ D. h. wie er angesichts des Tatbestandes der Welt und der
Menschheit überhaupt und wie er ein e i n z i g e r
sein kann.
²
D. h. ich bin überzeugt, daß er ist und daß
er e i n e r ist.
³
Schon seine stets dezidierte Ausdrucksweise, mag er vom AT oder von
Gott oder vom Heil oder von Christus oder von Marcion sprechen, beweist
das.
S. N o r d e n,
Agnostos Theos, S. 19 ff.
185
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
das
nicht die Unterscheidung
der „theoretischen“ und „praktischen“ Vernunft K a n t s,
so jedoch, daß an
Stelle des zweideutigen Begriffs der praktischen Vernunft der
eindeutige Begriff einer seelischen Tatsache tritt, die sich als solche
nicht begründen, aber auch nicht übertragen läßt.
A. hat wie ein anderer Schüler M.s, Lukanus (s. o. S. 172),
Philosophie studiert — das
zeigt seine Terminologie — und hat das AT gründlich
durchgearbeitet; aber beide hat er als Quelle der Gotteserkenntnis
verworfen. Diese hat er überhaupt verworfen, aber dafür
das s u b j e k t i v e G o t t e s b e w u
ß t s e i n
eingesetzt — und zwar das monotheistische, und es mit den Mitteln der
Stoa, aber über sie hinausgehend als ein innerliches Getrieben-
und Bestimmtwerden beschrieben. Sein „κινοῦμαι“ entspricht dem „ad te“
Augustins, und es ist psychologisch genauer beobachtet als das
„absolute Abhängigkeitsgefühl“ S c h l e i e
r m a c h e r s, dem es in der
starken Betonung der μία ἀρχή verwandt ist. Für A. ist und
bleibt Gott ἄγνωστος (im schlichten Sinn des Worts); aber das ist nicht
sein letztes Wort; denn durch eine innere Bestimmtheit ist ihm Gott als
Seiender und als e i n e r
subjektiv aufgenötigt und er glaubt ihn daher.
Allein
nun darf man nicht übersehen, daß die Verwandtschaft
mit K a n t und S c h l e i e r m a c h
e r doch nur eine
bedingte ist. Warum? W e i l f ü
r
A. d i e G o t t e s f r a g e i
n d e r R e l i g i o n — a u c h i
n d e r B e a n t w o r t u n g
d u r c h d a s κ ι ν ε ῖ σ θ α ι — n i c h
t d i e e n t s c h e i d e n d e R
o l l e s p i e l t. Er
will vielmehr hier jedwede Erfahrung gelten und sich auch solche
Christen gefallen lassen, die einen Zwei- und Dreiprinzipienglauben
haben, also von dem eindeutigen κινεῖσθαι nichts verspüren. Er
will das, ja er fordert, daß jeder bei seinem subjektiven
metaphysischen Glauben bleibe, weil für die Erlösung und das
Heil nur die Hoffnung auf den Gekreuzigten in Betracht
kommt. D i e s e H o f f n u n g h a
t A. a l s o n i c h t
n u r
v o m W i s s e n, s o n d e r n a u c
h v o m m o n o t h e i s t i s c h e
n G l a u b e n v ö l l i g
l o s g e r i s s e n.
Aber
worauf beruht sie dann selbst, wenn sie doch für jedermann
notwendig ist und weder demonstriert werden kann, noch den
metaphysischen monotheistischen Glauben (das κινεῖσθαι) zu ihrer
Grundlage hat? Die Antwort kann nur lauten: entweder kommt hier ein
zweites κινεῖσθαι in Betracht, das im
186
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Unterschied
von jenem ersten
nicht nur subjektiv ist — denn jedermann kann und soll auf den
Gekreuzigten hoffen — o d e r d i e
T a t s a c h e d e s G e k r e u z i g t e
n s p r i c h t e i n f a c h f
ü r s i c h s e l b e r
und das Evangelium schafft sich die Hoffenden. Nur letzteres kann
A. gemeint haben; denn ein κινεῖσθαι ist und bleibt subjektiv.
Also ordnen sich die Gedanken des A. so: es gibt (1) ein
seligmachendes ἐλπίζειν an den Gekreuzigten, das aus der Tatsache
selbst, bzw. der Predigt entsteht; wer es gewonnen hat, ist des Heils
gewiß, w e i l n u r a u
s d e m
E r f a s s e n d e s G e k r e u z i g t e
n d i e E r k e n n t n i s d e
s b a r m h e r z i g e n (g u t e n)
G o t t e s e n t s p r i n g t; das hat A. hier
zwar nicht
ausdrücklich gesagt; aber es folgt aus dem Zusammenhang und steht
nach seiner Marcionitischen Überlieferung fest ¹. Das
κινεῖσθαι hat keine Beziehung auf Gott als den Barmherzigen (den
Erlöser) ². Es gibt (2) ein innerliches κινεῖσθαι, welches
diesen und jenen zum metaphysischen G l a u b e n
a n e i n e n einheitlichen Weltgrund führt, also an
einen Gott;
aber da es nicht jedermann erlebt, kann die Anerkennung der μία ἀρχή
nicht zum Heile notwendig sein ³; auch bleibt die Frage: πῶς ἐστιν
εἷς θεός, wissenschaftlich stets unbeantwortet. Es gibt (3) ein
rationales, der Demonstration fähiges Wissen (γινώσκειν.
ἐπίστασθαι), aber
—————
¹ Dazu: wo er von der Prinzipienfrage und der μία ἀρχή spricht,
setzt er für diese nicht etwa τὸν ἕνα ἀγαθὸν θεόν, sondern τὸν ἕνα
ἀγέννητοv θεόν ein.
²
Im ἐσταυρωμένος steckt vielmehr der Erlösergott.
³ Apelles identifiziert für seine Person den im Gekreuzigten
erschienenen Erlösergott mit der μία ἀρχή, aber er fordert diese
Identifizierung von anderen nicht. — Sehr beachtenswert ist hier die
Übereinstimmung und die Verschiedenheit zwischen Apelles und
Augustin (Confessiones, Prolog; s. m e i n e
Abhandlung in den „Reden und Aufsätzen“ Bd. 5 S. 69 ff.): Dem
κινεῖσθαι entsprechen bei Augustin das „ad te“ und das „inquietum“, dem
ἠλπικέναι ἐπι τὸν ἐσταυρωμένον aber die „praedicatio“, durch welche
erst das „ad te“ seinen für das Subjekt erkennbaren und
beseligenden Inhalt empfängt. Der Unterschied ist hier jedoch
folgender: nach Augustin ist die „praedicatio“ für sich allein
wurzellos; Apelles dagegen stellt alles auf die „praedicatio“, bemerkt
aber bei sich — er sieht das nicht für etwas Generelles, sondern
für etwas Subjektives an —, daß ihr ein κινεῖσθαι
entgegenkommt.
187
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
es
bezieht sich
ausschließlich auf die Welt; die Gottesfrage bleibt ihm als
metaphysische und als beseligende verschlossen.
Das
ὴλπικέναι ἐπὶ τὸν ἐσταυρωμένον (und damit an ein gutes, erlösendes
Prinzip) und das πιστεύειν εἰς ἕνα ἀγέννητον θεόν, das auf einem
κινεῖσθαι beruht, hat A. auseinander gerissen und dazu noch beides
vom Erkennen und Wissen getrennt! E r
h a t a l s o d i e c h r i s t l i
c h e R e l i g i o n a u s s c h l i e ß
l i c h a u f d e n E i n d r u c
k
i h r e s g e s c h i c h t l i c h e n I n h a
l t s g e s t e l l t. Hat er die ungeheure
Resignation, die darin liegt, selbst empfunden? Man darf das wohl
annehmen; denn neben dem κινεῖσθαι steht ein bedeutsames „μόνον“,
welches erst recht auch zu dem Heilsglauben gehört. Dazu kommt,
daß wir wissen (s. o.), daß er früher die
Zweiprinzipienlehre seines Lehrers für Irrtum und Lüge
erklärt hat, also unmöglich schon damals den Satz vertreten
haben kann, jeder könne und solle bei dem πιστεύειν in bezug auf
die ἀρχαί bleiben, das er habe. Also ist es der g r e i s e
Apelles, der das, was er
selbst früher als eine Sache des Wissens beurteilt hat, nunmehr
für eine subjektive, außerhalb der Erkenntnis liegende
Bestimmtheit erklärt, von der der Heilsglaube ganz unabhängig
ist. Solch eine Wandlung kann sich nicht ohne Resignation vollzogen
haben ¹.
Durch
die scharfe Unterscheidung der drei Größen (rationale
Welterkenntnis, die es zu keinem Wissen von Gott bringen kann —
psychologisch-subjektiv bedingter Glaube an Gott als den e
i n e n Weltgrund — auf Geschichte
sich gründender christlicher Hoffnungsglaube an Gott, den
Erlöser) verdient Apelles einen hohen Platz in der
Religionsgeschichte. Er ist vor Augustin der einzige christliche
Theologe, mit dem wir uns heute noch ohne mühsame Akkomodation zu
verständigen vermögen ².
—————
¹ Für seine Person ist A. niemals an seinem alten
Bekenntnis: εἷς ἀγέννητος ἀγαθὸς θεός irre geworden; aber er
differenzierte nunmehr die Beziehung auf diesen Gott: die
erlösende Liebe, so lehrte er nun, kann aus dem Evangelium
jedermann erfahren, aber nicht jedermann braucht sich von der
Einheitlichkeit des Weltgrundes zu überzeugen, da diese
Überzeugung zur Seligkeit nicht notwendig ist und
erfahrungsgemäß auch gute Christen nicht zu ihr bewogen
werden können. Hat er damit nicht seinem Lehrer Marcion, den er
einst so scharf angegriffen, am Schlusse seines Lebens die
versöhnende Hand gereicht?
² Sein Gegner Rhodon hat sich selbst hinreichend charakterisiert
in den Worten: „Ich aber gab ihm unter Lachen meine Verachtung kund,
188
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
Die Lehre
des Apelles in ihren Abweichungen von Marcion ist aus den Resten seiner
Schriften noch erkennbar und verständlich; sie setzt überall
bei offenbaren logischen Schwächen der Lehren M.s ein; die
sachliche Superiorität ist dabei keineswegs immer auf Seiten des
Apelles.
(1) M. nahm zwei Prinzipien an, aber da er sie
nicht gleichsetzen, vielmehr den guten Gott gegenüber dem
gerechten als den oberen fassen und dazu lehren mußte, daß
es am Ende der Dinge auch mit dem gerechten Gott aus sein werde, so
erschien die Statuierung zweier Prinzipien logisch nicht haltbar;
Apelles statuierte daher, damit der allgemeinen christlichen Lehre
entgegenkommend, nur e i n
göttliches Prinzip; dieses habe außer den Engeln noch eine
besondere „virtus“ geschaffen; Apelles nannte sie „den berühmten
Engel“, ja auch im weiteren Sinn ἀρχή; denn sie ist der
Weltschöpfer.
(2) M. hat die Schöpfung (incl. des
Menschen) in ihrer Totalität und im einzelnen als ein wertloses
und schlimmes, ihrem Schöpfer gleichartiges Produkt beurteilt, im
„Fleische“ jedoch noch etwas besonders Abscheuliches erblickt, was aus
dem Stoff, dessen sich der Schöpfer bedienen mußte,
entstanden sei; diese Beurteilung der Welt vermochte Apelles nicht zu
billigen (in bezug auf das Fleisch dachte er wie M.), weil sie dem
offenbaren Tatbestande nicht gerecht werde. Hier setzte er nun mit der
Erkenntnis ein, die er von den alexandrinischen Religionsphilosophen
gelernt hatte: in der Welt steckt doch auch etwas relativ Erhabenes und
Gutes, so schlimm sie ist; dieses Gute erklärt sich am besten,
wenn man die Welt als das nicht gelungene Abbild einer höheren
besseren Welt auffaßt, i n d e
r
s i c h d e s h a l b a u c h e i
n t r a g i s c h e r Z u g d e
r R e u e f i n d e ¹; also
muß ihr Schöpfer besten Willen mit Schwäche verbunden
haben. Dazu tritt noch eine Beobachtung, die ganz und gar die
platonische Herkunft verrät, aber sich
—————
daß er ein
Lehrer zu sein behauptete, aber das von ihm Gelehrte nicht zu beweisen
wisse“. Man weiß nun von ihm selbst, daß er zu den
Dutzendphilosophen des Zeitalters gehört hat.
¹ S. den Bericht des Pseudotertull.: „Mundum
institutum ad imitationem mundi superioris, cui mundo (ab angelo
creatore) permiscuisse paenitentiam“; Tert., de carne 8: „Angelum
quendam inclytum nominant qui mundum hunc instituerit et instituto eo
paenitentiam admiserit“.
189
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
zugleich
von M.s
Auffassung völlig entfernt: es gibt in dieser unvollkommenen Welt
etwas, was trotz seiner traurigen Zuständlichkeit doch einen
himmlischen Ursprung haben muß, die menschlichen Seelen; sie
können nur von der μία ἀρχή selbst stammen. Wie konnte M.
ihre Hoheit verkennen; aber wie sind sie in diese Welt gekommen?
(3) M. hat die Schöpfung und das AT
qualitativ einfach identifiziert; beide sind ihm in ihrer Art gleich
und gleich schlimm; aber er hat es völlig übersehen, das AT
auf seine Glaubwürdigkeit zu prüfen, und sich mit einer rein
religiösen Kritik begnügt. Hier setzte A. ein; er
untersuchte das Buch eingehend und fand, daß es ein Fabel- und
Lügenbuch sei; sind aber Moses und die Propheten nichts anderes
als eine große Lügenlegende, so sind sie weit schlimmer als
die Schöpfung; also muß hinter ihnen eine andere Macht
stehen als der Weltschöpfer; ein zweiter „Engel“ muß hier im
Spiele sein, ein Abgefallener, und es kann nur jener feurige
Lügengeist sein, der zu Moses im Busch geredet hat. Er, der
praeses mali, ist der Gott Israels und auch der Gott der Christen, die
dem Gott Israels folgen; er war es auch, der die Seelen durch gemeine
Verführung („terrenis escis“) aus den oberen Regionen des guten
Gottes verlockt hat, um sie hier unten mit dem sündigen Fleisch zu
bekleiden.
(4) M. hat den Leib Christi nicht geboren sein
lassen und für einen bloßen Scheinleib erklärt.
Ersteres nahm auch A. an; aber er sah ein, daß der
Doketismus M.s schwer zu verteidigen sei, weil er dem Erlöser
eine Täuschung zumutet und weil er die Wirklichkeit des Werkes
Christi in Frage stellt, auf die alles ankommt; daher legte Apelles
Christo einen wirklichen, aber aus den reinen Elementen gebildeten Leib
bei, mit dem er sich bei seiner Herabkunft, als er die Sternenwelt
passierte, bekleidet hat.
Dies sind die wichtigsten Abweichungen von M.s
Lehre, die eine neue Lehre begründen. D u r c
h d i e e r s t e u n d
z w e i t e i s t G o t t a l
s
d e r f r e m d e G o t t b e s e i
t i g t: d a s i s t d e r H a u p t p
u n k t d e r D i f f e r e n z
z w i s c h e n M a r c i o n u n d
A p e l l e s.
Hiernach lautete der Katechismus des Apelles also:
(a) Die christliche Bibel, auf der sich allein die
Lehre zu gründen hat, ist von M. richtig bestimmt worden; sie
besteht
190
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
also
aus dem (verkürzten
und verfälschten) Evangelium des Lukas und den (verkürzten
und verfälschten) Paulusbriefen; das AT ist abzulehnen ¹.
Auch die „Offenbarungen“ der Prophetin Philumene sind zu lesen (s. o. S. 177 f.).
(b) Es
gibt e i n e n g u t e n G o t t
(εἷς
ἐστιν ἀγαθὸς θεὸς καὶ μία ἀρχὴ καὶ μία δύναμις ἀκατονόματος) ²;
dieser
Gott hat Engelmächte und eine obere Welt, sowie auch die
Menschenseelen geschaffen, die ursprünglich bei ihm in den oberen
Regionen waren ³, aber die Welt hat er nicht geschaffen und er
kümmerte sich auch nicht um sie . Bei
ihm ist von Ewigkeit sein Christus, der Sohn .
(c)
Der höchste der geschaffenen Engel („inclytus“, „gloriosus“) — so
hoch, daß er als „virtus“, δευτέρα ἀρχή, ἄλλος θεός, δεύτερος
θεός 6 und κύριος zu bezeichen ist,
somit
also dem Logos ganz nahe kommt; doch scheint A. diesen Namen
vermieden zu haben — gehorcht den Winken, Geboten und Befehlen des
obersten Gottes in allen Stücken. Dieser hat ihm mit
—————
¹ Daß Apelles ein eigenes Evangelium gehabt hat, ist dem
Hieronymus nicht zu glauben (s. Beilage S. 418*); Pseudotertullian
bezeugt den Marcionitischen Kanon für A. Das verirrte Schaf
und Luk. 8, 20 sind von ihm zitiert worden (Tert., De carne 7, der
in
demselben Kapitel voraussetzt, daß A. das Joh.-Ev.
verwirft), und die Geburtsgeschichte fehlte. Allerdings zitiert A.
(bei Epiphanius, Haer. 44, 2) das Wort: „Werdet gute Geldwechsler“, als
im Evangelium stehend: aber das entscheidet nicht. Übrigens
spricht nichts dagegen, daß A. am Evangelium M.s ebenso
geändert hat, wie andere Schüler. Hippol. (Ref. VII, 38)
drückt sich zu allgemein aus, wenn er von A. sagt, er habe
aus den Evangelien und dem Apostolos herausgenommen, was ihm gefiel.
²
Epiph., haer. 44, 1, (auch ὁ ἅγιος ἄνωθεν θεὸς καὶ ἀγαθός) und
Origenes, Comm. in Tit. („Ingenitus et bonus deus“).
³
Tert., de anima 23. 36; de carne 8. Dort schon waren die Seelen
männlich und weiblich (so Philumene in den Phaneroseis). Es
verdient besondere Beachtung, daß sich die Prophetin mit dem
sexuellen Problem beschäftigt und die Differenzierung nicht in dem
Leiblichen (das paßte sich also nur an), sondern in der
seelischen Anlage gefunden hat. Sie muß also auf ihr Geschlecht
etwas gehalten haben.
Epiph., l. c. und sonst.
Gewiß, wie M. lehrte, in unzertrennlicher Einheit als der
erscheinende „spiritus“.
6 Fälschlich behauptet Hipp.,
Ref. X,
20, der Weltschöpfer werde von A. nicht Gott genannt.
191
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
der
Weltschöpfung
betraut, die er nach dem Bilde der oberen Welt zu Ehren („gloria“) des
Einen vollbringen sollte, und Christus unterstützte ihn dabei mit
seinem Geiste und Willen und mit seiner Kraft. Aber da dieser Engel
nicht „gut“ sein konnte, weil dies dem obersten Gott allein vorbehalten
ist, wurde die Welt (Himmel, Erde und alles, was in dem Kosmos ist,
auch die sichtbaren Gestirne) unvollkommen und ihr Schöpfer
mischte ihr die „Reue“ darüber bei, ja in dieser Reue hat er sich
schamvoll von dem guten Gott vollends entfernt, sodaß er mit dem
verirrten Schaf im Evangelium zu vergleichen ist ¹.
(d)
Mit der Welt, bzw. mit dem Menschen, wurde es aber noch schlimmer; denn
ein zweiter Engel fiel gänzlich vom obersten Gott ab, wurde zum
„praeses mali“ und lockte die Seelen aus der oberen Welt durch irdische
Speisen zu sich, um sie mit dem Sündenfleisch zu bekleiden; aber
damit begnügte er sich nicht: als feuriger (also verzehrender)
Engel sprach er im Busch zu Moses und entführte das jüdische
Volk dem Weltschöpfer, dazu diejenigen Christen, die, wie die
Juden, ihn als ihren Gott verehren ².
—————
¹ Die wichtigsten Zeugnisse hier stehen bei Tert., de
praescr. 34;
de carne 8; Orig., Comm. in Tit.; Pseudotert. und Filaster.
Epiphanius
vergröbert und fälscht (l. c.), wenn er sagt, der
Weltschöpfer habe κατὰ τὴν αὐτοῦ φαύλην διάνοιαν die Welt
geschaffen. Bei Hippol., Refut. VII, 38 heißt er ὁ δίκαιος.
² S. Tert., de praescr. 7. 33; de carne 8; de anima 23;
de
resurr.
5 („Corpusculum istud, quod malum appellare non horrent“); Hipp., l. c.
— Die komplizierte Kosmologie ist natürlich nur der Exponent der
Weltbeurteilung des Apelles: er sah im Kosmos einen göttlichen
Plan und die ursprüngliche Einwirkung göttlicher Kräfte;
er sah sogar in den Seelen Größen, die eigentlich zur oberen
Welt gehören, aber er sah daneben nicht nur eine sehr
unvollkommene Durchführung des Planes, sondern auch Teuflisches
und Böses, das Wirken eines satanischen Geistes, das sich vor
allem in dem Zustand der Menschen zeigt, die neben ihrem himmlischen
Teil das abscheuliche Fleisch an sich haben und die, sofern sie Juden
sind, sich unter das Joch des lügenhaften „Gottes“ gebeugt haben.
Sehr fein ist es, daß Apelles der ganzen Welt, soweit sie nicht
durch den praeses mali verkommen ist, den Stempel der „Reue“
aufgeprägt fand. Was Valentin als „Pathos“ aufgefaßt hat,
faßte Apelles tiefer als schmerzliches Bewußtsein der
Unvollkommenheit mit dem Wunsche, besser zu werden. — Wenn Hippol. in
der Refut. X, 20 vom feurigen Engel noch einen anderen bösen Engel
unterscheidet und Christus als fünften rechnet,
192
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
(e) Von
ebendiesem feurigen Engel, dem Widersacher- und Lügengeist, stammt
das Lügenbuch, das AT, welches voll Fabeln, Absurditäten,
Widersprüchen und logischen und tatsächlichen
Unmöglichkeiten ist. Das Gesetz und die Propheten haben das Juden-
und gemeine Christenvolk vollends verführt und in ihre Bande
geschlagen. In den „Syllogismen“ kann jeder lesen, wie es um dieses
Buch steht. Doch ist einiges im AT von Christus Inspirierte enthalten
¹.
—————
so ist das irrig.
Nicht
völlig ins klare kommt man in bezug auf den Weltschöpfer des
Apelles und sein Verhältnis zum feurigen Engel. Epiphanius
sagt von ihm ἀπέβη οὐκ ἀγαθός, und da ihn A. mit dem verirrten
Schaf
verglichen hat, so liegt es nahe, daß eine Verschlechterung bei
ihm
stattgefunden hat; aber das ist doch nicht wahrscheinlich; denn er
bittet den obersten Gott, Christus zu senden, um die Menschheit zu
erlösen. Wer regiert diese vor dem Erscheinen Christi? Hat der
Weltschöpfer alle Macht gegenüber dem feurigen Engel
verloren? Regiert der Weltschöpfer etwa die Heiden? Dann
wären diese die besseren gegenüber den Juden. Das ist wohl
denkbar.
¹ Alle Zeugen bestätigen die Verwerfung des AT (μύρια κατὰ
τοῦ Μωυσέως νόμου ὴσέβησε), und mehrere, von ihnen lehren, daß
A. der Verwerfung aus religiösen Gründen (Marcion) die
Ablehnung
aus rationalen hinzufügte. Die zahlreichen Fragmente bei Orig.
geben ein gutes Bild von Apelles’ Keckheit, Scharfsinn und logischer
Nüchternheit (s. Beilage S. 412* ff). Interessant ist, daß
er u.
a. auch die Geschichte vom Sündenfall deshalb verworfen hat, weil
sie gegen die paulinischen Theologie verstößt: „Si hominem
non perfectum fecit deus, unusquisque autem per industriam propriam
perfectionem sibi virtutis adsciscit, nonne videtur plus sibi homo
acquirere, quam ei deus contulit?“ — Man ist nach den allgemeinen
Äußerungen der Gegner über Apelles’ Kritik am AT nicht
darauf gefaßt, daß doch einiges in dem Buch vom
Weltschöpfer
gesagt, ja sogar von Christus inspiriert ist; aber die Sache leidet
keinen Zweifel; denn Origenes berichtet es beiläufig (Comm. in
Tit: „Non omnibus modis dei esse legem vel prophetas denegavit“) und
Epiphanius (Hippolyt) ausdrücklich und mit den Worten des Apelles
selbst (haer. 44, 2: „Christus hat uns gezeigt, was und in welcher
Schrift von ihm her gesagt ist und was vom Demiurgen; denn so sprach er
im Evangelium: ,Werdet erprobte Geldwechsler‘; so brauche ich denn nun
aus jeglicher Schrift das Nützliche, es sammelnd“). — Leider ist
uns keine einzige ATliche Stelle namhaft gemacht, die A. auf den
Weltschöpfer oder Christus zurückgeführt hat. Seine
Unterscheidung im AT ist alexandrinisch-gnostisch (s. auch die ep.
Ptolem. ad Floram) und entspricht seiner Unterscheidung in dem Bestande
der Welt. Aber die Welt ist etwas Mittleres mit guten und schlechten
193
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
(f) Der
gute Gott erbarmte sich der Menschheit und sandte in dieser
Endzeit a u f B i t t e n d e
s W e l t s c h ö p f e r s
seinen Sohn zur Erlösung der Menschheit ¹; vor ihm ist kein
Bote dieses Gottes aufgetreten ². Mit dem Sohne kam auch der h.
Geist.
(g)
Der Sohn, Christus, bildete sich bei seiner Herabkunft aus den vier
Elementen, wie sie sich auch in der zum Kosmos gehörigen
Sternenwelt finden, einen Leib und erschien also auf Erden mit
einem w i r k l i c h e n Leibe. In diesem hat er
alles, was er getan und gelitten, w i r k l i c h
getan. Das wichtigste Stück der Glaubenslehre lautet ³: „Beim
Herabsteigen aus dem überhimmlischen Gebiet kam er auf die Erde
und komponierte sich aus den vier Elementen einen Leib; denn von dem
Trocknen nahm er das Trockne und von dem Warmen das Warme usw.... Dann
gab er sich dem Leiden in ebendiesem Leibe preis und wurde wahrhaftig
gekreuzigt und wahrhaftig begraben und auferstand wahrhaftig und zeigte
sein Fleisch seinen Jüngern und dann löste er sein Menschsein
wieder auf und teilte den einzelnen Elementen das ihrige wieder zu, hob
damit sein σῶμα ἔνσαρκον wieder auf und flog in den Himmel zurück,
woher er gekommen war .
—————
Zusätzen; das
AT aber ist etwas Schlechtes mit wenigen mittleren und guten
Zusätzen. — Die Mühe, die sich A. in den Syllogismen
gegeben hat, das AT als Fabelbuch zu zerstampfen, zeigt die Energie
seiner reformatorischen Absicht, die Christenheit von diesem Buch zu
befreien. — Zweifelhaft bleibt, ob A. die Geschichte vom
Sündenfall ebenso für eine Fabel gehalten hat wie die von
Noas Arche. Hat er es nicht getan — und bei dem Eifer, mit dem er die
Geschichte zerpflückt, ist mir das wahrscheinlich —, so muß
man bei den Alternativen, die er bei seiner Kritik stellt, annehmen,
A. habe nicht sowohl die Schlechtigkeit als die Schwäche des
Weltschöpfers ans Licht stellen wollen.
¹
Genauer (Epiph. 44, 2): ἐπὶ σωτηρίᾳ τῶν εἰς γνῶσιν αὐτοῦ ἐρχομένων;
vgl. Orig., Comm. in Tit.
²
S. A. bei Orig., c. Cels. V. 24: Μόνος οὗτος ἐπιδεδήμηκε τῷ γένει τῶν
ἀνθρώπων. Ἐπ’ ἐσχάτων τῶν καιρῶν Epiph. 44, 2.
³
Bei Epiphan., 1. c. (Hippolyt).
Die Berichte über den Leib Christi
sind darin einstimmig, daß er nicht aus dem Gebiet des oberen
Gottes stammt, sondern zu dieser Welt gehört; aber der eine
Bericht läßt Christus den Leib bei seiner Herabkunft aus den
vier Elementen schaffen, die er in der irdischen Sternenwelt findet und
auch dort wieder ablegen (bei der Himmelfahrt); nach dem
194
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
In
dem wirklich erlittenen
Kreuzestod besteht sein Erlösungswerk ¹.
(h)
Die Erlösung bezieht sich nur auf die Seelen ²; denn wie die
Annahme des Sündenfleisches Christus befleckt hätte, so
muß auch der vollendete Gläubige es abstreifen.
(i)
Die Ehe ist gänzlich zu verwerfen ³.
Die
Lehre des Apelles — von der Stellung, die er zuletzt eingenommen hat,
sehe ich ab — ist eine interessante Verbindung des Marcionitismus mit
dem Gnostizismus auf Kosten des ersteren ;
—————
andern bildet sich
Christus den Leib erst auf der Erde selbst und legt ihn auch dort vor
der Himmelfahrt wieder ab. Die Differenz ist unerheblich. — Deutlich
ist, daß in dieser Glaubensregel eine Nachbildung des
altrömischen Symbols steckt (vgl. besonders das ταφέντα und das
ὅθεν καὶ ἧκεν für ὅθεν καὶ ἔρχεται), so daß Apelles als ein
Zeuge desselben in Anspruch genommen werden darf (vgl. K a
t t e n b u s c h, Das Apostolische
Symbol II S. 87. 639 f). Man erinnere sich hier auch der ἁγία ἐκκλησία
bei Marcion (oben S. 181 f.).
— Die Wiederkunft Christi hat Apelles abgelehnt (wie andere Gnostiker
auch). Das folgt aus dem „ὅθεν καὶ ἧκεν“ und aus der Lehre, Christus
habe sein Fleisch bei der Himmelfahrt abgelegt. Er weicht also auch an
diesem Punkt von reinem Meister ab. — Da heute wieder Neigung bei den
Forschern besteht, das altrömische Symbol bis um d. J. 200
herunter zu drücken, so ist demgegenüber geltend zu machen,
daß die Glaubensformel des Apelles es höchst wahrscheinlich
voraussetzt.
¹
Vgl. zum Glaubensbekenntnis bei Epiph. die Stelle de carne 7:
„Confitentur v e r e corpus
habuisse Christum“. Nach Abstreifung des Leibes ist Christus wieder nur
„spiritus“ (Pseudotert.).
²
Aber auch der Weltschöpfer muß von Christus nach Apelles
errettet worden sein oder werden; sonst hätte er ihn nicht mit dem
verirrten Schaf vergleichen können.
³
De praescr. 33. Hieraus ist zu folgern, daß A. in der Askese
ebenso streng war wie Marcion; aber war er es auch noch am Ende seines
Lebens, als er erklärte, daß die auf den Gekreuzigten
Hoffenden gerettet werden, wenn sie nur in guten Werken erfunden
werden? Ich glaube, daß die Frage zu bejahen ist; denn seinen
Widerwillen gegen das Fleisch wird A. schwerlich verloren haben.
Nahezu eigentümlich innerhalb des
Gnostizismus ist dem Apelles
die Unterscheidung zwischen dem Weltschöpfer und dem Gott des
Gesetzes (Judengott). Indem er den letzteren moralisch tief unter den
Weltschöpfer (also auch unter die Welt) stellt, bringt er seinen
Abscheu vor dem AT. noch stärker zum Ausdruck als sein ehemaliger
Lehrer.
195
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
sie
steht dem Valentinianismus
¹ nahe (auch Clemens Alexandrinus), am nächsten aber, so
scheint es, Tatian ² und ist umsichtiger und „verständiger“
als die Lehre Marcions, aber in dem Maße als sie das ist, ist sie
schwächlicher und matter ³. Sie ist Korrektur des
Marcionitismus durch eine mit der valentinianischen verwandte
Spekulation. Unzweifelhaft rückt sie aber auch durch die
Einprinzipienlehre der Theologie des vulgären Christentums
näher als die Lehre M.s; daß jedoch A. jenem
Christentum hat Konzessionen machen wollen, ist eine zwar beliebte,
aber unerweisliche Annahme, an die auch kein Kirchenvater jemals
gedacht hat. Am Ende seines Lebens hat A. den Gnostizismus wieder
abgeschüttelt, als Denker eine ganz eigenartige, weitherzige
Position eingenommen und als Christ sich auf der Planke des
paulinischen Heilsglaubens gerettet, tolerant gegen alle, die sie mit
ihm ergreifen. Festgehalten aber hat er auch in diesem letzten Stadium
an der Erkenntnis, daß das AT in seinen Hauptteilen ein Fabelbuch
sei. Durch diese Erkenntnis trat er an die Seite der gebildeten
Griechen, die das Christentum bekämpften ,
—————
¹ Mit dem Valentinianismus, dessen Äonenlehre ihm freilich
völlig fremd geblieben ist, teilt Apelles die differenzierende
Beurteilung der Welt und des AT, welche göttliche, „mittlere“ und
schlechte Bestandteile unterscheidet.
² Tatian ist rigider Enkratit und Ehefeind wie
Apelles und hat den Weltschöpfer ähnlich aufgefaßt wie
dieser; denn seine Meinung, der Weltschöpfer habe in dem Worte
„Fiat lux“ eine Bitte an die oberste Gottheit gerichtet (Clemens,
Eclog. 38; Orig., de orat. 24), kommt der Ansicht des Apelles sehr
nahe, er sei bei der Schöpfung von Christus unterstützt
worden und habe auch den obersten Gott gebeten, seinen Sohn zur
Erlösung zu senden. Da beide ihre Schule in Rom hatten (die
Tatians war die ältere, da Irenäus sie schon kennt), so darf
man einen gewissen Zusammenhang hier vermuten, über den sich aber
nichts Näheres sagen läßt.
³ Im Grunde ist Apelles trotz seines
Monotheismus „mythologischer“ als Marcion; denn seine beiden Engel, der
weltschaffende und der feurige, sind in Wahrheit Halbgötter
(M.s Weltschöpfer ist das seiner T h e o r i e
nach nicht), und
seine Lehre vom Leibe Christi, den auch er für ungeboren
hält, ist vorwitziger als M.s Doketismus, der bei der
negativen Beurteilung stehen bleibt.
Sein ehemaliger Lehrer
M. stand bekanntlich auf seiten der Juden, weil er das AT.
für ein wahrhaftiges, wörtlich zu erklärendes Buch hielt.
196
Die
Geschichte der Marcionitischen Kirche
und
diese fatale
Bundesgenossenschaft wird der Verbreitung seiner Schule nicht
zuträglich gewesen sein.
—————
Letzte
Änderung am 29. Dezember 2017